"Denn sie wissen, was sie nicht tun"
Johannes Norpoth, Mitglied des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), über die Anerkennungspraxis des Leids Betroffener von sexualisierter Gewalt

© Synodaler Weg/Maximilian von Lachner
Johannes Norpoth, 57 Jahre, Gelsenkirchen, ist Sozialwissenschaftler und als Unternehmensberater bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig. Er ist Betroffener sexualisierter Gewalt und darüber hinaus ist er als Einzelpersönlichkeit Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und von dort in den Synodalen Ausschuss entsandt.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche: Über Jahrzehnte wurden Verbrechen durch die Institution Kirche vertuscht, Täter geschützt, Betroffene ignoriert. Doch jetzt, heißt es immer wieder, werden Verbrechen aufgearbeitet, „das Leid der Betroffenen“ anerkannt. Reicht das? Johannes Norpoth, Mitglied des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), beantwortet diese Frage mit einem klaren „Nein“.
Der Titel ist bewusst provokant: „Denn sie wissen, was sie nicht tun“, ist der Beitrag von Johannes Norpoth im aktuellem Pfarrbrief der Gemeinde St. Oliver in Laatzen überschrieben. Der 57-jährige Sozialwissenschaftler gehört dem Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), ist selbst Betroffener von sexualisierter Gewalt. Beim Blick auf die Praxis der Anerkennung des Leids und der Entschädigung Betroffener fällt sein Urteil bitter aus: „Im Grunde verfolgen die deutschen Bischöfe seit über 20 Jahren dieselbe Strategie: Sie zahlen nur, was sie unter dem Druck der Öffentlichkeit unbedingt müssen.“ Und die Politik lasse die Bischöfe weitgehend in Ruhe.
Zum Hintergrund: Die Anerkennung des Leids erfolgt durch einen Bescheid der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Eingesetzt ist die Kommission von den Bischöfen selbst. Die Bescheide orientieren sich dabei an den Urteilen von staatlichen Gerichten. Sind Betroffene mit ihrem Bescheid nicht zufrieden, können staatliche Gerichte angerufen werden.
So weit, so gut? Für Norpoth ist das ein unwürdiges Spiel auf Zeit der Bischöfe zu Lasten der Betroffenen. Denn Zivilklagen vor Gerichten sind für Betroffene ein weiterer Höllenritt für Psyche und Physis. Zudem beschädigen die Bischöfe mit diesem Spiel „weiter die Institution Kirche, zu deren Schutz sie eigentlich verpflichtet sind“.
Die Bischöfe schieben die Verantwortung von sich weg
Im Kern, betont Norpoth, schieben die Bischöfe die Verantwortung von sich weg. Für ihn ein sehr drastisches Beispiel: Der Umgang des Bistums Hildesheim mit der Klage des Betroffenen Jens Windel. „Dort versucht das Bistum, sich über die Einrede der Verjährung einer juristischen Aufarbeitung und Einordnung dieses Falles zu entziehen“, schreibt Norpoth: „Ein Paradebeispiel für das Phänomen bischöflicher Verantwortungsdiffusion.“ Die Erfahrungen der letzten Jahre lehren, „dass auch dieses Verhalten, zumindest in der bischöflichen DNA, fest verankert zu sein scheint.“
Bei allen guten Ansätzen im Verfahren zur Anerkennung des Leids (Grundlage der Plausibilität der Tat, gleiche Bewertungsmaßstäbe), hat nach Ansicht von Norpoth die UKA einen Webfehler: „Eine durch die Bischofskonferenz berufene Kommission handelt auf Basis einer ebenfalls von den Bischöfen verantworteten Ordnung.“ Hinzu kommt: „Unterstützt wird die Kommission von Mitarbeitenden aus dem Sekretariat der Bischöfe, die Anträge werden aus den Bistümern zugeleitet.“ Ab einer Bescheidhöhe von 50.000 Euro ist dann wieder die zuständige Bistumsleitung hinzuzuziehen: „Spätestens damit ist alle Unabhängigkeit der sich redlich mühenden Kommissionsmitglieder dahin.“
Echte Unabhängigkeit durch Stiftung
Für Norpoth kann es nur drei Konsequenzen aus dieser Situation geben. Zum einen: endlich die bei den Betroffenen eingetretenen wirklichen Schäden in den Blick nehmen. Wenn ein Opfer durch die erlittene Sexualstraftat in der beruflichen Entwicklung eingeschränkt ist, dann potenziert sich der materielle Schaden jeden Monat“, betont Norpoth. Vom Eintritt ins Berufsleben bis zur Rente. Die Folge: Alle bisherigen Zahlungshöhen reichen nicht im Ansatz, die sich über eine lebenslange Berufsbiographie aufbauenden materiellen Schäden auszugleichen.
Zum zweiten: Die Bischöfe sollten endlich nicht nur Verantwortung übernehmen, sondern weiteren Schaden abwenden – sowohl von den Betroffenen als auch von der Kirche selbst. Denn „fehlende Führung, die falschen bischöflichen Entscheidungen, die Angst vor Konsequenzen, der schlichte Geiz“ – all das treibe Menschen aus der Kirche: „Aufsichtsgremien von Wirtschaftsunternehmen mit Jahresumsätzen, die zu deutschen Bistümern vergleichbar sind, hätten in Anbetracht dieser Unfähigkeit das Leitungspersonal längst ausgetauscht.“
Drittens: „Es braucht damit ein wirklich unabhängiges System für Aufarbeitung, Schadensersatz und Prävention.“ Norpoth schlägt ein Stiftungsmodell vor: „Ausgestattet mit den notwendigen Finanzmitteln aus den Bistümern, gestellt unter die Schirmherrschaft einer namhaften politischen Instanz, zum Beispiel in der Person des Bundespräsidenten.“ Hier sei die Politik gefordert: „Die Bundesregierung darf nicht länger am Rand stehen und zuschauen.“
pkh/Wala