"St. Clemens gehörte immer zu uns"

Zukunft würdigt Geschichte: Das ist der Leitgedanke des 300-jährigen Jubiläums von St. Clemens. Aber welche Geschichte wird hier geschrieben? Unsere Autorin Martina Stabenow hat in vier Folgen Akzente dieser Vergangenheit gesetzt. Hier noch ein Special: zwei persönliche Geschichten mit St. Clemens . Im ersten Teil: Irmgard Plesse.

Irmgard Plesse, Jahrgang 1927, geboren und aufgewachsen in Hannover

 

St. Clemens gehörte immer zu uns

 

Ich wohnte mit meinen Eltern und meinen beiden älteren Geschwistern in der Theaterstraße, später zogen wir in die Haarstraße. Meine Schwester war acht Jahre und mein Bruder sechs Jahre älter als ich. Von jeher gehörte St. Clemens zu meinem Leben dazu. Dort wurde ich getauft und zehn Jahre später empfing ich in St. Clemens gemeinsam mit 35 anderen Kindern die Erstkommunion. Selbstverständlich erhielt ich in der Clemenskirche auch das Sakrament der Ehe, als ich 1957 heiratete.

 

 

Das Elternhaus prägte

 

Das Gemeindeleben von St. Clemens war fester Bestandteil unseres Familienlebens. Mein Vater ging regelmäßig zu Veranstaltungen des Kolpingvereins, dem er sich sehr verbunden fühlte. Dies rührte daher, dass er im damaligen Gesellenhaus eine Unterkunft fand, als er als junger alleinstehender Mann nach Hannover kam. Dafür empfand er stets Dankbarkeit. Ich entsinne mich daran, wie uns erzählte: "Ich wüsste gar nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich dort keine bernachtungsmöglichkeit gehabt hätte."

Meine frühesten Erinnerungen an St. Clemens hängen mit den Erstkommunionen meiner Geschwister zusammen. Natürlich ging ich da mit. Außerdem begleitete ich schon als kleines Mädchen meine Schwester zu Veranstaltungen des so genannten Jungfrauenverbundes, dem sie angehörte. Dadurch ergab es sich, dass ich frühzeitig im Gemeindeleben von St. Clemens eingebunden war.

 

 

Verheerender Bombenangriff zerstörte alles

 

In meiner Familie war es eine Selbstverständlichkeit, dass wir jeden Sonntag zweimal zum Gottesdienst in die Clemenskirche gingen. Auch während des Zweiten Weltkrieges änderte sich das nicht - jedenfalls zunächst nicht. Erst als die Kirche bei dem schweren Bombenangriff im Oktober 1943 zerstört wurde, war es damit vorbei,.

Mein Elternhaus wurde bei diesem Angriff ebenfalls ausgebombt. Plötzlich waren wir obdachdachlos und standen nur mit ein paar geretteten Habseligkeiten da. Unsere Familie zerstreute sich zwangsläufig, weil jeder von uns versuchte, schnell irgendwo eine neue Bleibe zu finden. Einmal in der Woche kamen wir aber zu einem Familientreffen bei meiner Mutter zusammen, die in Limmer ein Zimmer gefunden hatte. Da in St. Clemens das Gemeindeleben zwangsläufig erloschen war, knüpfte ich neue Kontakte zur St. Marien-Gemeinde. Manchmal besuchte ich dort auch Jugendveranstaltungen.

 

 

In der Krypta fühlten wir uns sicher

 

Bis zum zweiten Weltkrieg war mir gar nicht bekannt, dass es in St. Clemens eine Krypta gab. Von der Existenz der Krypta erfuhr ich erst, als man sie im Krieg zu einem öffentlichen Luftschutzkeller umfunktionierte. Bei Fliegeralarm wurde sie vor allem von den Menschen genutzt, die in unmittelbarer Nähe der Kirche wohnten. Auch meine Familie suchte die Krypta bei Bombenalarm oft auf. Es war wohl dem damaligen Probst zu verdanken, dass wir uns gerade dort sicher fühlten. Die ganze Sache lief dann folgendermaßen ab: Nachdem sich alle Schutzsuchenden in der Krypta eingefunden hatten, verließ der Propst das Pfarrhaus und kam zu uns rüber. Dann erteilte er allen Anwesenden die Generalabsolution. Ab diesem Moment waren wir davon überzeugt, dass uns nun nichts mehr passieren könne. Das war wirklich eine ganz tolle Sache.

 

 

Improvisieren gehörte dazu

 

Nach dem Krieg kehrte langsam wieder Normalität in unser Leben zurück.

Meine Familie bekam in Linden eine Wohnung. Ab 1946 begann auch das Gemeindeleben in St. Clemens wiederaufzuleben, worauf ich meine Aktivität in der dortigen Jugendarbeit fortsetzte.

In den folgenden Jahren fanden die Gottesdienste in der Krypta statt, da die darüber liegende Oberkirche noch zerstört war. Wir mussten immer wieder improvisieren, denn es fehlte an vielen Dingen. Aber irgendwie klappte auch das: Wenn ich den Altar schmückte, stellte ich die Blumen eben in Saftgläser. Vasen waren ja keine mehr vorhanden. 

Bei Regen konnte der Gottesdienst schon mal eine recht feuchte Angelegenheit werden. Das lag daran, dass der Fußboden der Oberkirche undicht war und das Regenwasser direkt in die Krypta reinlief. Damit diese Stellen repariert werden konnten, fingen wir an, den Schutt aus der Kirche wegzuschaufeln.

 

 

Belegte Stullen für die Helfer

 

1946 wurde die Altstadt von einer schlimmen Hochwasserkatastrophe erfasst, worauf auch die Krypta völlig unter Wasser stand. Ich erinnere mich noch an meine Verblüffung, als dort plötzlich Särge schwammen. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nämlich nicht, dass in der Krypta auch Särge untergebracht waren.

Das Hochwasser hinterließ massenhaft Schlamm, den wir dann auch noch wegzuschaffen hatten. Doch dafür gab es große Unterstützung, weil der damalige Propst für alle Helfer belegte Stullen organisierte. Essen war zu dieser Zeit sehr knapp. Daher gab es viele helfende Hände - auch von Menschen, die ansonsten mit unserer Kirchengemeinde nicht verbunden waren.