Am seidenen Faden ...
Acht Fragen an Angela Denecke, die Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen zur Zukunft der Jugendberufshilfe in Niedersachsen
Unter dem Motto "Jugendberufshilfe am seidenen Faden...?" ruft die Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen (LAG JAW) zum niedersachsenweiten Aktionstag um 5 vor 12 Uhr am Dienstag, 19. März, auf. Mit einem Flashmob an der Markthalle in Hannover will der Arbeitskreis der Jugendwerkstätten der Stadt und Region Hannover auf die unverzichtbare Arbeit der Jugendwerkstätten und deren finanziell unsichere Zukunft ab 2021 aufmerksam zu machen. Beteiligen werden sich Mitglieder aller Jugendwerkstätten der Stadt und der Region Hannover.
Die LAG JAW ist der Zusammenschluss der freien Träger der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen mit ihren Einrichtungen. Im Interview erläutert LAG-Geschäftsführerin Angela Denecke den Hintergrund der Aktion und die politischen Herausforderungen für Jugendwerkstätten sowie für Begleitungs- und Beratungseinrichtungen für Jugendliche, die pro aktiv center.
Jugendberufshilfe am seidenen Faden...?" - das ist das Motto des Aktionstages der LAG JAW am 19. Marz, dem Josefstag.. Warum ist der Faden so seiden?
Ziel der Jugendberufshilfe ist es, allen jungen Menschen, unabhängig von ihrer Rechtskreiszugehörigkeit und von Förderbedarfen, eine effiziente, dauerhafte berufliche und soziale Integration zu ermöglichen. Aus diesem Grund fördert das Land Niedersachsen Jugendwerkstätten und Pro-Aktiv-Centren als anerkannte und etablierte Einrichtungen der Jugend(berufs)hilfe bereits seit 30 Jahren. Da die Finanzierung seit jeher mit der Finanzierung über befristete Programme im Zusammenhang steht, scheint die Finanzierung des aktuellen Programms mit Ablauf der ESF Förderperiode in höchstem Maß gefährdet zu sein.
Was ist die besondere Stärke der Jugendwerkstätten und Pro-Aktiv-Center in Niedersachsen? Was würde der Jugendsozialarbeit fehlen?
Trotz der guten Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt gibt es auch in Niedersachsen weiterhin eine hohe Anzahl junger Menschen, die aufgrund komplexer Problemlagen ohne Unterstützung keinen Einstieg in eine Ausbildung oder das Erwerbsleben schaffen. Die arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit hat das Ziel, allen jungen Menschen eine gesellschaftliche und berufliche Teilhabe zu ermöglichen. Die Jugendwerkstätten und Pro-Aktiv-Centren stehen für die Entwicklung und Vermittlung von stabilen sozialen und beruflichen Perspektiven. Damit tragen sie zur Armutsprävention bei und bieten die Chance auf eine positive Persönlichkeitsentwicklung. Mit dem Wegbrechen der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit würde ein wichtiger Baustein im Reigen der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen fehlen.
Die Jugendwerkstätten und Pro-Aktiv-Center werden mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Die Förderung läuft Ende 2020 aus, durch den Ausstieg Großbritanniens aus der EU verändert sich auch die Finanzarchitektur. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Bereits seit Beginn der aktuellen ESF-Förderperiode 2014 ist klar, dass die Förderung nur bis zum Ende 2020 ausreichen wird. Aus Erfahrung wissen wir jedoch, dass es einer bergangsfinanzierung über 2021 hinaus bedarf, bis die Mittel aus Brüssel tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Dieser bergang ist bis heute nicht gesichert. Zusätzlich führt der Brexit dazu, dass grundsätzlich weniger Europa-Mittel zur Verfügung stehen und eine auskömmliche Finanzierung aller bestehenden Programme nicht möglich sein wird.
Was erhoffen Sie sich von der Politik sowohl in Niedersachsen als auch von der EU?
Das Land Niedersachsen ist seit 30 Jahren für die bewährte und flächendeckende Struktur der Jugendwerkstätten und Pro-Aktiv-Centren verantwortlich. In dieser Zeit ist es nicht gelungen eine verbindliche Finanzierung für die Jugendberufshilfe in Niedersachsen zu schaffen. Um dem Förderdschungel des ESF in seinen unterschiedlichen Dimensionen zu entgehen, ist es an der Zeit, dass das Land Niedersachsen ab 2021 ein eigenes Landesprogramm, mit einer dauerhaft einer auskömmlichen Förderung über einen mehrjährigen Zeitraum mit entsprechender Dynamisierung schaffen wird. Die Landespolitik ist sich fraktionsübergreifend einig. Nun sollte sie aber auch für die Umsetzung sorgen.
Kein junger Mensch soll verloren gehen in Sonntagsreden und Wahlprogrammen ist dieser Satz immer wieder zu hören und zu lesen. Die Einrichtungen der LAG kümmern sich genau um diese Jugendlichen, die verloren gehen könnten. Was braucht es, damit sie noch besser gefördert werden können?
Damit Jugendliche nicht durch alle Raster der Registrierung fallen und den Behörden sowie den Einrichtungen verloren gehen, braucht es auf regionaler Ebene abgestimmte Konzepte der Kinder- und Jugendhilfe. Den jeweiligen Kommunen muss es ein Anliegen sein, Netzwerke zu bilden, an denen sich alle Dienste und Einrichtungen der Jugendhilfe und der Jugendsozialarbeit beteiligen. Junge Menschen mit offensichtlichen Benachteiligungen benötigen umfassende Förderkonzepte, die sich an deren Lebenslagen orientieren, einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und die Jugendlichen individuell einbeziehen. Um diese Zielgruppe in einem ersten Schritt überhaupt zu erreichen, braucht es niedrigschwellige und vor allem aufsuchende Angebote.
Ein guter und möglichst hoher Schulabschluss wird immer wichtiger. In Niedersachsen verlassen aber immer noch etwa fünf Prozent der Schüler*innen die Schule ohne Abschluss. Was muss Ihrer Ansicht nach das Land hier tun?
Schüler*innen der Sekundarstufen I und II, die aus dem Schulsystem herausfallen oder herauszufallen drohen, brauchen andere Möglichkeiten, um einen Schulabschluss zu erlangen. An dieser Stelle können Jugendwerkstätten ein wesentlicher Baustein im bergang von der Schule in den Beruf sein. In Zusammenarbeit mit den Schulen könnten diese flächendeckend ein alternatives Angebot zur Schulpflichterfüllung vorhalten. Sinnvoll ist hier, dass die Bildungsketten der jungen Menschen aufrechterhalten werden, mit der Perspektive auf eine langfristige Beteiligung am Berufsleben zu ermöglichen.
Junge Flüchtlinge haben oftmals große Herausforderungen zu überwinden, bis sie in der Schule oder in einer Ausbildung Fuß fassen. Wie unterstützt sie die Jugendberufshilfe?
Gerade in diesem Bereich ist ein planvolles Vorgehen notwendig, das möglichst eine unmittelbare Wiederaufnahme der Bildungsbiografie jungen geflüchteten Menschen ermöglicht und sie, zielgerichtet auf die gesellschaftliche Integration durch Beteiligung am Berufsleben vorbereitet. Dies gilt bereits für den schulischen Bereich. Gerade junge Flüchtlinge im Alter von 13-16 Jahren haben es ungleich schwer ohne Verzögerungen ihren Schulabschluss zu absolvieren. Durch eine intensivierte (Schrift-)Sprachförderung könnten manche Bildungswege perspektivisch geebnet werden. Positiv ist in diesem Zusammenhang die Regelung der Ausbildungsduldung. Wenn junge Geflüchtete eine Ausbildungsstelle bekommen, verhindert die Zeit der Ausbildung eine Abschiebung. Das ermöglicht ihnen mittelfristig eine gesicherte Perspektive zu entwickeln. Allerdings sind nur wenige Flüchtlinge bereits im ersten Jahr des Aufenthaltes in Deutschland schon in der Lage eine Ausbildung zu beginnen. Auch hier bedarf gerade in der ersten Zeit dringend intensiver sprachlicher sowie schulischer Förderung.
Die Bundesrepublik ist das einzige Land in Europa, in dem sich die Jugendarbeitslosigkeit seit Jahren deutlich verringert, in Niedersachsen zuletzt auf 4,8 Prozent. Sie liegt mit 0,2 Prozentpunkten minimal über dem deutschen Durschnitt von 4,6 Prozent. Warum braucht es bei dieser Entwicklung noch die Jugendberufshilfe?
Laut unserer Sozialgesetzgebung (§13,1 SGB VIII) soll allen jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur berwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sozialpädagogische Hilfe angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern. Und genau das ist das Ziel der Jugendberufshilfe! Auch wenn der Prozentsatz der Jugendarbeitslosigkeit durch den Arbeitskräftemangel zu Zeit so gering ist, wie schon lange nicht mehr, gibt es in Niedersachsen immer noch 10.082 junge Menschen, die aktuell keine Chance auf dem Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt haben. KEIN JUNGER MENSCH DARF VERLOREN GEHEN! Aus diesem Grund ist es die Aufgabe des Landes immer Maßnahmen der Jugendberufshilfe als Standardangebot der Jugendsozialarbeit vorzuhalten.
Rüdiger Wala