Arbeitswelt Theater
Nachgefragt bei Alrun Hofert
Jeder kennt das Theater. Obwohl viele vor der Bühne sitzen und zuschauen, gehört die Arbeitswelt dahinter eher zu den unbekannten Gefilden. Alrun Hofert ist Schauspielerin am Staatstheater und Vorsitzende der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) in Hannover.
Jeder kennt das Theater. Obwohl viele vor der Bühne sitzen und zuschauen, gehört die Arbeitswelt dahinter eher zu den unbekannten Gefilden. Laut der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins – Bundesverband der Theater und Orchester, waren in Niedersachsen in der Spielzeit 2019/2020 an den Bühnen 2.989 Personen beschäftigt. Aufgeführt werden zusätzlich 846 produktionsbezogene Gastverträge, 724 Abendgäste sowie 796 Werk-/Dienstverträge. Die Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH zählt mit etwa 950 Beschäftigten zu den größeren Arbeitgebern zählen.
Alrun Hofert kennt die Arbeitswelt des Theaters. Sie kam zur Spielzeit 2019 als Schauspielerin nach Hannover ans Staatstheater – und wird seit dieser Zeit regelmäßig als Lektorin in den Sonntagsgottesdiensten in der Basilika St. Clemens mit. Alrun Hofert gehört auch zu jenen KatholikInnen, die bei der Gestaltung ihrer Arbeitswelt selbst Hand anlegen. Als Mitglied einer Gewerkschaft setzt sie sich für ihre Kolleg*innen ein. Als Vorsitzende der Lokalgruppe Hannover der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) organisiert sie die gewerkschaftliche Arbeit, wie zum Beispiel ihr gemeinsamer Einsatz für die niedersächsische Theaterlandschaft zeigt.
Frau Hofert, Sie sind Schauspielerin, Gewerkschafterin und in der Katholischen Kirche engagiert. Wie bekommen Sie dies unter einen Hut?
Das frage ich mich selbst manchmal auch. Mit guter Selbstorganisation! Tatsächlich variiert das Arbeitspensum bei den unterschiedlichen Positionen sehr. In der Gemeinde bin ich in der Regel Sonntag vormittags dran, während die Probenarbeit hauptsächlich werktags stattfindet. Vorstellungen spielen kann je nach Spielplan theoretisch jeden Tag auf dem Programm stehen. Die Ehrenämter laufen nebenbei. Die Aufgaben und Ziele sind jeweils sehr abwechslungsreich – aus der Unterschiedlichkeit ziehe ich Kraft.
Unter vielen Arbeitswelten können sich Menschen etwas vorstellen, weil diese nicht weit von ihren eigenen Erfahrungen entfernt sind. Aber bei der Arbeitswelt „Theater“ ist der Blick hinter die Kulissen doch häufig versperrt oder sogar selbst Teil der Inszenierung. Wie würden Sie einem Laien Ihre Arbeitswelt beschreiben?
Wir sind ein Repertoire-Theater, das heißt wir haben eine große Bandbreite an Stücken, die wir regelmäßig spielen. Ich probe 4 Inszenierungen pro Spielzeit. Eine Probenphase dauert 6 bis 8 Wochen. Die Stücke und Besetzungen werden von der Leitung geplant. Ich kann mir natürlich Stücke und Rollen wünschen, wobei bei 30 Spieler*innen im Ensemble nicht jeder Wunsch berücksichtigt werden kann. Die Proben finden in der Regel werktags und manchmal samstags von 10 bis 14 Uhr und (wenn ich keine Vorstellung spiele) von 18 bis 22 Uhr statt. Je nach Größe der Rolle kann es aber auch sein, dass ich nicht täglich dabei sein muss. Die Probenarbeit ist von Team zu Team unterschiedlich. Meistens gibt es eine Textvorlage, den Text lerne ich dann in der Freizeit. Und dann tasten wir uns mit Improvisationen, Gesprächen, ständigem Scheitern und wieder neu probieren an die Szenen ran. Natürlich hilft es mir als Schauspielerin, mir im Vorfeld szenische Ideen zu überlegen – ich muss dann aber natürlich offen für die Ideen der Kolleg*innen bleiben.
Sie sind Vorsitzende der Ortsgruppe Hannover der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA). In Fachkreisen ist Ihre Organisation bekannt, aber der breiten Öffentlichkeit eher nicht. Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Organisation und weshalb Sie dort Mitglied geworden sind.
Die GDBA vertritt die Bühnensolokünstler*innen und viele bühnennahe Berufe. Hauptziel ist die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die sind aktuell leider ziemlich prekär. Beispielsweise gibt es keine Tariftabelle. Wir müssen unsere Gagen frei verhandeln. Lediglich eine Mindestgage von 2000 Euro brutto ist festgeschrieben. Und dass bei befristeten Jahresverträgen, Wechseldiensten, Wochenenddiensten und Hochschulstudium. Vergleicht man das mit dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD) findet man dieses Gagenniveu bei den ungelernten Küchenhilfen. Was mich grundsätzlich in meiner Gewerkschaftsarbeit antreibt ist meine Weigerung, mich Ungerechtigkeiten einfach hinzugeben und mich darüber zu echauffieren. Mir ist es wichtig, aktiv zu werden. Von allein passiert leider nichts.
Was macht Ihre Gewerkschaft, um diese Theater-Betriebe und die ganze Branche zu gestalten?
Die GDBA verhandelt mit dem deutschen Bühnenverein, der Arbeitgebervereinigung, den sogenannten NV Solo Vertrag. Wie das in Gewerkschaften nunmal so ist, hat sie mehr Verhandlungsmacht je mehr Mitglieder sie hat. Deshalb halte ich es absolut notwendig, Teil der Gewerkschaft zu sein. Außerdem bietet die Gewerkschaft mir als Einzelmitglied eine kostenlose Rechtsberatung, was im Fall der Fälle wirklich hilfreich ist.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit konkurrierenden Gewerkschaften, wie zum Beispiel der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die ebenfalls in den Theatern aktiv ist?
In meiner Wahrnehmung gut! Ver.di vertritt am Theater die TVÖD Verträge, da kommen wir mit den Künstler*innenverträgen uns eigentlich nicht in die Quere. Im Gegenteil: Ver.di ist inspirierend! Die Kolleg*innen mit TVÖD haben sehr viel bessere Arbeitsbedingungen! Lokal organisieren wir immer wieder gemeinsam Aktionen. Letztes Jahr beispielsweise als wir über den Verbund #rettedeintheater eine riesige Protestwelle gegen die niedersächsische Kulturpolitik in Gang gesetzt haben. Oder diesen Herbst: Da planen wir am Staatstheater Hannover zusammen einen Workshoptag zum Thema „sexuelle Gewalt im Theater“.
Welche Bedeutung hat für Sie die kirchliche Sozialverkündigung für Ihr gewerkschaftliches Engagement?
Eine große Bedeutung! Das Prinzip der Solidarität, das sich-einsetzen für den oder die Schwächere*n ist sicher ein zentrales Motiv in meiner Funktion als Lokalverbandsvorsitzenden. Wir versuchen als Vorstandsgremium die vielen Aufgaben im Lokalverband aufzuteilen, sodass sich kleine Expert*innengruppen gebildet haben. Damit ist das Prinzip Subsidiarität Grundlage für unser effizientes Arbeiten. Und Personalität? Mein persönliches Ziel ist es, jedem Mitglied das Werkzeug an die Hand zu geben, um sich selbst ermächtigen zu können.
Welche Forderungen hat Ihre Gewerkschaft zu den Einkommens- und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Theater?
Aktuell steht die GDBA wieder in Verhandlungen. Eine der Forderungen ist eine Tariftabelle, bei der die Mindestgage bei 2.750 Euro und 3.100 Euro (je nach Größe der Häuser und Qualifikation) liegen soll. Die Tarifstaffelung soll sich an Alter, Berufserfahrung und persönlicher/familiärer Situation anpassen. Außerdem sollen auch die Gästegagen hoch.
In welcher Beziehung stehen für Sie Kirche und Arbeitswelt?
Im Alltag scheint es mir manchmal wie zwei ferne Welten: die Theaterwelt ist bekanntermaßen sehr säkular. Ich habe manchmal Bammel vor Reaktionen, wenn ich mich im Theaterkontext als katholisch „oute“. Das Leben im Theater ist fluide, ich muss permanent flexibel sein und mich und meine Kunst ständig neu erfinden. Die Kirche daneben ist für mich wie eine Art Fundament, auf das ich mich verlassen kann. Sie ist wie eine Art Muttersprache. An der ich natürlich auch zweifle, die mir aber eher Antworten gibt als neue zu bewältigende Aufgaben. Ich genieße in der Kirche außerdem, dass sich Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher Kontexte versammeln – während wir im Theater dann doch in einer ziemlichen Bubble sind.
Da Sie in der Kirche wirken, aber auch in der Welt der Kunst und Kultur arbeiten, stellt sich selbstverständlich die Frage, wie sie das Verhältnis von Kirche und Kultur betrachten. Wie empfinden sie diese beiden Welten für Ihr eigenes Leben, aber auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft?
Ich sehe das gar nicht so getrennt voneinander. Ist die Kirche nicht auch ein wichtiger kultureller Faktor für eine Gesellschaft? Und letztlich steht das Theater, an dem ich arbeite für Werte, die ziemlich deckungsgleich mit den christlichen Werten sind. Theater befragt natürlich Kirche, sieht sie kritisch. Und Kirche kann in seinen Gottesdiensten ja auch ein höchst theatrales Erlebnis sein.
Welchen Wünsche haben Sie für die drei Sphären – Kirche – Theaterkunst – Gewerkschaft – für die kommenden fünf Jahre?
Mehr Zusammenhalt! Reibung ist essentiell. Aber auch das Genießen dessen, was wir (geschafft) haben muss Raum finden!
Das Interview führte Egbert Biermann