Auf der Suche

Wie kann katholische Kirche in Großstädten für Menschen da sein? Mit dieser Frage setzen sich jedes Jahr rund 20 Stadtdechanten auseinander. Sie kommen aus den Großstädten Deutschlands zusammen, um ihre Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. In diesem Jahr haben sich die Stadtdechanten in Hannover getroffen.

 Monsignore Dr. Christian Hermes aus Stuttgart und Propst Martin Tenge aus Hannover haben dabei festgestellt, dass die katholische Hochburg im Süden und katholische Diaspora im Norden mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

 

 

Monsignore Hermes, vor welchen Herausforderungen steht ihrer Meinung nach die katholische Kirche zurzeit insbesondere in den Großstädten?

Monsignore Dr. Christian Hermes: Die Säkularisierung ist in der Großstadt stärker als auf dem Land. Wir haben viele Kirchenaustritte von Menschen, die frisch ins Berufsleben eintreten. Die haben in der Großstadt sehr hohe Lebenshaltungskosten und nicht so große Hemmungen aus der Kirche auszutreten, wie sie sie hätten, wenn sie noch im eigenen Herkunftsdorf wohnten. Weil dort nämlich die eigene Mutter mit der Pfarrsekretärin im Nordic- Walking- Kurs läuft. Die Situation ist in urbanen Bereichen auch komplexer. Wir müssen als Kirche sehr differenziert arbeiten, wenn wir einen guten und nach außen ausstrahlenden Ort in der Gesellschaft einnehmen wollen. In Stuttgart bauen wir zum Beispiel ein spirituelles Zentrum auf, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass viele spirituell auf der Suche sind. Und die Gemeinden werden nicht mehr als die Orte wahrgenommen, wo ich als Neuling barrierefrei spirituellen Zugang bekomme.

Propst Martin Tenge: In Stuttgart steht die Stadtkirche aber wenigstens mitten in der Stadt. Alle Menschen kommen prinzipiell an ihr vorbei und können einfach mal reinschauen. Da sind wir hier in Hannover in einer anderen Situation mit der Basilika St. Clemens, wo man ausdrücklich hingehen muss. Also sollte die Kirche ein Profil haben, das das trifft, was die Menschen auch suchen. Das haben Hannover und Stuttgart gemeinsam: Die Menschen sind unterwegs und innerlich auf dem Weg. Sie suchen Anknüpfungspunkte für die Fragen ihres Lebens. Und sie sprechen religiösen Orten und Menschen die Kompetenz zu, hier Anregungen zu geben. Deswegen brauchen wir diese Orte der Begegnung, die aus sich heraus sprechen, und Menschen, die dort präsent sind.

Hermes: Uns ist tatsächlich in beiden Großstädten auch gemeinsam, dass wir sagen, Kirche ist für den Menschen da, nicht für sich selbst. Wir können uns nicht mehr damit zufrieden geben, einen status quo zu erhalten sei es in der Gestaltung unseres Gemeindelebens oder in der Verwaltung von Gebäuden. Wir müssen uns profilieren und das machen, was für die Menschen gut ist, nicht Produkte anbieten, die gar keiner anfragt.

 

Wie erreicht Kirche Menschen mit ihren Angeboten im städtischen Raum?

Hermes: Eigentlich müsste da viel über Ehrenamtliche laufen. Aber die Mobilität führt auch beim Thema Ehrenamt zu Problemen. Wir haben Leute, die wollen sich engagieren und sind oft hochqualifiziert beruflich. Also wollen sie auch ein hochqualifiziertes Ehrenamt. Die brauchen viel Begleitung und dann kann es sein, dass sie eine Arbeitsstelle im Ausland annehmen und dann weg sind.

Tenge: Das Phänomen einer schwindenden inneren Bindung an Kirche ist wahrscheinlich nicht nur ein deutsches Phänomen. Die Formen von Ehrenamt haben sich einfach auch verändert. Unsere kirchlichen Formen von Ehrenamt leben oft von andauerndem, langfristigem Engagement. Viele wollen aber sich nicht gleich festlegen, sondern schnuppern. Dafür müssen wir als Kirche Rahmenbedingungen liefern und Begleitung anbieten. Nicht im Sinne von Bemuttern, sondern in dem Sinne, dass die Unterstützung gegeben wird, die vor Ort zu einem guten Dienst gebraucht wird. Denn Ehrenamt ist nicht nur Geben, sondern auch etwas für sich zu gewinnen.

Hermes: Die Menschen durchschauen sofort, wenn sie instrumentalisiert werden, um irgendeinen Laden am Laufen zu halten. Das dürfen wir nicht tun. Die Anonymisierung und Mobilität hat aber auch zu einem neuen Bewusstsein von Nachbarschaft und Quartierdenken geführt. Wir haben festgestellt, dass in der jüngeren Gesellschaft eine Aufmerksamkeit dafür da ist. Die scheinen zu merken, dass es gute Nachbarschaft nicht von selber gibt. Dafür muss ich was tun. Die Bereitschaft sich dafür einzusetzen, ist da, weil es die selbstverständliche gegebene Nachbarschaft wie auf dem Dorf nicht gibt.

 

Gibt es Impulse aus dem gemeinsamen Treffen, die Sie mit zu sich nach Stuttgart mitnehmen?

Hermes: Der Austausch bringt sehr viel, weil wir strukturell sehr ähnliche Probleme und Herausforderungen haben. In diesem Jahr war der Umgang mit Rechtspopulisten auf der Tagungsordnung. Da sind wir in den Städten nochmal viel stärker mit konfrontiert.

Tenge: Ich nehme auch eine gewisse Entspannung wahr, dass es viele Themen gibt, an denen auch andere weiter arbeiten. Ich kann und muss nicht alle Probleme von Kirche in der Großstadt lösen. Für mich ist ein wichtiger Impuls, dass die Gesellschaft und die Kirche durch Gott erlöst sind. Wir liefern unseren Beitrag, dass das auch sichtbar wird, aber wir müssen diese Befreiung nicht selbst herstellen. Das entlastet mich. Und auch zu merken, dass die anderen Brüder genau die gleichen Probleme haben wie ich, entlastet mich davon, immer den Fehler nur bei uns im eigenen System zu suchen. 

Marie Kleine