Aufbruch statt Abbruch
Hannoveraner Kulturgespräche St. Clemens diskutieren über Zustand der katholischen Kirche
Unter dem Titel „Should I stay or should I go?“ sprachen am Freitag in Hannover im Rahmen der alljährlichen Kulturgespräche St. Clemens die Schauspielerin Alrun Hofert, der Kabarettist Matthias Brodowy und der Journalist Simon Benne über Gründe, die katholische Kirche zu verlassen oder zu bleiben. Organisiert wurde der Austausch von Thomas Harling, Kulturbeauftragter der Katholischen Kirche in der Region Hannover, die Moderation lag bei der Journalistin Agnes Bührig.
Der Veranstaltungsort spiegelte bereits eine Realität wider, in der sich auch die katholische Kirche befindet. In dem ehemaligen Kaufhof-Gebäude „aufhof“ in der Hannoveraner Innenstadt ist seit der Geschäftsaufgabe ein „Raum für neue Impulse, Diskussion und Ideen der Zukunft“ entstanden. Der alte Kaufhaus-Charakter ist noch zu spüren, die alten Verkaufsflächen dienen nun aber als improvisierte Veranstaltungsräume für unterschiedlichste Themen. In den oberen Etagen herrscht allerdings gähnende Leere, die bedrückend und ernüchternd wirkt.
Ist auch die katholische Kirche kurz davor, ihre Pforten zu schließen? „Die katholische Kirche, wäre sie ein Unternehmen, müsste bankrott anmelden“, sagte Simon Benne von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und hatte es vor einigen Monaten so auch schon in seinem viel beachteten Artikel „Trotz der Kirchen-Skandale – oder gerade deswegen? Warum ich katholisch bleibe“ geschrieben.
Gründe, um die katholische Kirche zu verlassen, wurden viele aufgezählt: der Umgang mit sexuellem Missbrauch, die Verweigerung des Frauen-Priestertums, die Verweigerung der Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren, der Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen von der Kommunion. Für Matthias Brodowy, der katholische Theologie studiert hat, gab es einen Punkt, an dem das für ihn nicht mehr tragbar war und weshalb er die katholische Kirche in diesem Jahr verlassen hat, um evangelisch zu werden. „Ich hatte sehr auf den synodalen Prozess gehofft. Als dann der Papst sinngemäß verkündete: Es gibt in Deutschland eine gute evangelische Kirche, wir brauchen nicht zwei davon. Da brach bei mir alles zusammen“, beschrieb er den Auslöser für den Austritt. Es verfestigte sich das Gefühl, nichts ändern zu können. „Ein Pfarrer kann nichts ändern, ein Bischof kann nichts ändern, die Änderung kann nur von Rom kommen. Zu meinen Lebzeiten werde ich keine katholische Priesterin und Bischöfin erleben“, zeigte sich Brodowy enttäuscht. Am Ende gebe es aber ein ganzes Konglomerat von Gründen, was zu seinem Konfessionswechsel geführt habe.
„Ich könnte nicht aus der katholischen Kirche austreten, ohne aus mir selbst auszutreten, weil ich mich so sehr damit identifiziere“, sagte Simon Benne. Schon in seinem Artikel habe er die Gründe benannt, in der katholischen Kirche zu bleiben. „Wenn alle austreten, die auf Reformen drängen, überlassen wir die Kirche den Fundamentalisten, die sich alles unter den Nagel reißen können, was mir heilig ist“, argumentierte er. Eine Mehrheit der katholischen Kirchenmitglieder, zumindest in Deutschland, sei nach seiner Einschätzung sehr reformbereit. Auch seine Heimat-Gemeinde sei „sehr weltoffen, sehr vielfältig, sehr progressiv, sehr engagiert“.
Alrun Hofert, Schauspielerin am Schauspiel Hannover geht in die Kirche, um dort eine andere Welt zu erleben als die „Bubble der Schauspielerei“. „Kirche macht es möglich, dass ganz unterschiedliche Welten und Horizonte zusammenkommen“, beschreibt sie einen Grund, der Kirche treu zu bleiben.
Vieles sei bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs schiefgelaufen, sagte Benne. Er betonte aber gleichzeitig, dass er bei den Verantwortlichen ein massives Umdenken erkenne: „Es gibt mittlerweile eine Prävention in der katholischen Kirche, die besser ist als in allen Sportvereinen, Jugendgruppen und Schulen.“ Auch lägen viele der Vorgänge, bei denen Menschen von der Kommunion ausgeschlossen wurden, in der Vergangenheit. Er erkenne auch den Willen zu Reformen: „In den letzten eineinhalb Jahren habe ich in der katholischen Kirche mehr Bewegung und Veränderung wahrgenommen, als ich mir für meine Lebzeiten zu erhoffen gewagt hätte.“
Vieles von dem, was in Deutschland gefordert werde, stoße aber außerhalb des Landes auf Unverständnis, konterte Brodowy. „All das gilt nicht für Polen, Südamerika und in Afrika.“ Die Übertragung deutscher Verhältnisse auf andere Länder funktioniere in der Tat nicht, bestätigte Benne, „das wäre eine Art von Neo-Kolonialismus und auch von Besserwisserei“. Wäre er Papst, würde er mehr Föderalismus wagen. „Wir brauchen etwas, was uns Katholiken weltweit vereint, wir müssen aber auch verschiedene Geschwindigkeiten bei Reformen zulassen.“ Was in Deutschland heute schon gehe, solle hier jetzt gemacht werden dürfen, was in anderen Bistümern nicht gehe, müsse eben warten.
Allerdings würden die gleichfalls hohen Austrittszahlen in der evangelischen Kirche zeigen, dass man es nicht nur mit einem Kirchenproblem, sondern gleichzeitig auch mit einem Glaubensproblem zu tun habe, betonte Benne. „Unsere Fähigkeit zu glauben, verdunstet gewissermaßen, das ist in beiden Kirchen gleich.“ Deshalb müsse man ehrlicherweise auch sagen: „Die ganzen von uns geforderten Reformen in der katholischen Kirche würden nicht dazu führen, dass die Austrittswelle und der Mitgliederschwund gestoppt würden.“ Trotzdem mache das die Reformen aber nicht sinnlos.
Was ist am Ende entscheidend? „Wir als Christinnen und Christen sollten wahrgenommen werden und auch mutig dazu stehen. Wir sollten - völlig unabhängig von der Konfession - sichtbar sind“, wünschte sich Matthias Brodowy. Kirche dürfe nicht nur sonntags stattfinden. „Wir haben ein großes Problem mit Menschen, die sehr arm sind und obdachlos sind“, nannte er ein Beispiel. Wir würden sie sehen, aber an ihnen vorbei gehen. „Es kann doch mal reichen zu fragen: Möchten Sie einen Kaffee trinken?“ Da fange für ihn eine christliche Begegnung an, Offenheit sei dafür wichtig. „Wir können alle Seelsorgerinnen und Seelsorger sein“, so der Kabarettist.