„Die Partnerschaft ist eine große Bereicherung“
Online-Talk in Hannover über die besondere Verbindung von Bolivien und dem Bistum Hildesheim
Wie ist die Situation in Bolivien, dem Partnerschaftsland des Bistums Hildesheim? Welche Akzente sollen in der Zusammenarbeit gesetzt werden? Darüber sprachen der neue Vorsitzende der bolivianischen Bischofskonferenz, Aurelio Pesoa, und die neue Vorsitzende der Bolivienkommission des Bistums, Katharina Bode, bei einer Online-Konferenz im DigitalCampus Hannover.
Seit November 2021 ist Aurelio Pesoa Vorsitzender der Bolivianischen Bischofskonferenz. Geboren wurde er 1962 in Concepción, einer ehemaligen Missionsstation der Jesuiten im tropischen Tiefland von Bolivien. Dort lernte er die Arbeit des Franziskanerordens kennen, dem er im Alter von 21 Jahren beitrat. Nach seinem Theologiestudium in Cochabamba und der Priesterweihe ging es zum Aufbaustudium nach Rom. Zurück in Bolivien war Pesoa dann als Dozent für Dogmatik, aber auch in der Gemeindepastoral und am kirchlichen Gerichtshof von Santa Cruz tätig. 2014 wurde er zum Weihbischof von La Paz ernannt. Bereits ein Jahr später führte er als Generalsekretär die Geschäfte der bolivianischen Bischofskonferenz. In dieser Funktion war er als Vermittler tätig, als es bei den Präsidentschaftswahlen im November 2019 nach Betrugsvorwürfen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Anhänger*innen des ins Exil geflüchteten Präsidenten Evo Morales und bewaffneten Schlägertrupps der Opposition kam. Das sagt Pesoa:
- Zur politischen Situation in Bolivien
Pesona: Mit den Wahlen im Jahr 2005 verbanden viele Menschen in Bolivien große Hoffnung auf einen „cambio“, auf den Wechsel. Die Partei Movimiento al Socialismo (Bewegung zum Sozialismus) hatte die Wahl gewonnen und diesen grundsätzlichen Wandel in der Politik versprochen. Datuf haben auch nicht MAS-Wählerinnen und Wähler gesetzt. Doch der Wechsel kam nicht. Zwar wurden die Staateinnahmen durch die Besteuerung von Konzernen erhöht. Das waren gute Momente. Doch es wurde die Gelegenheit verpasst, dieses Geld nachhaltig zu investieren. Derzeit gibt es eine große Unsicherheit: Man sieht den aktuellen Präsidenten Luis Arce kaum, obwohl er Wirtschaftsminister unter Morales war.
- Zum Verhältnis von Kirche und Staat in Bolivien
Pesoa: Wir hatten die Hoffnung, dass sich Beziehung zwischen Kirche und Staat entspannen, vielleicht sogar verbessern würde – vor allem in Folge des Besuches von Papst Franziskus in Bolivien im Jahr 2015. Dauerhaft bemühen wir uns um einen Kanal zur Regierung, um Anliegen zu besprechen, die nicht nur die Kirche, sondern auch das gesamte bolivianische Volk betreffen. Die neue MAS-Regierung hat Kommunikationskanal versprochen. Schauen wir, was kommen wird. Es geht uns dabei nicht um isoliert Einzelaktionen, sondern um die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Regierung. Das betrifft beispielsweise Fragen der Ökologie, der Bewahrung der Schöpfung. Wir sehen mit Sorge Bestrebungen, aus wirtschaftlichen Gründen, die Rodung von Amazonasgebieten voranzutreiben. 75 Prozent der Bolivianer sind katholisch. Als Kirche hätten wir großen Einfluss, um gemeinsam mit der Regierung konzertierte Aktionen durchzuführen.
- Zur sozialen und wirtschaftlichen Situation
Pesoa: Auf dem Papier sehen die Zahlen, die Regierung liefert, sehr positiv aus. In der Realität aber Arbeitsplätze, vor allem für Jugendliche. Das betrifft auch gut ausgebildete junge Leute. Vor allem in den Städten sieht man, dass Menschen ihr Eigentum, ihre Immobilien verkaufen. Das ist ein ernstes Zeichen für eine ökonomische Krise mit großen sozialen Folgen. Zur Corona-Pandemie in Bolivien Die Pandemie hat tiefes Erschrecken in Bevölkerung ausgelöst. Gerade in der ersten Phase des Lockdowns, ab März 2020, haben sich viele Leute verschulden müssen. Nur so konnten sie Medikamente oder eine Krankenhausbehandlung bezahlen. Zeitweise fehlte medizinischer Sauerstoff. Derzeit gibt es nur ganz wenige Erkrankungen. Doch wir sehen, dass das Gesundheitssystem immer noch schwach, zum Beispiel am Mangel an Betten für Intensiv-Therapie.
Zusammen mit Pesoa steht Katharina Bode vor der Kamera. Die 30-jährige Grundschullehrerin ist im April zur neuen Vorsitzenden der Bolivienkommission des Bistums gewählt worden. Sie hat die Nachfolge von Bettina Stümpel angetreten, die nach zwei Amtsperioden satzungsgemäß aus der Kommission ausgeschieden ist. Katharina Bode war selbst 2010/11 Freiwillige in Bolivien. Sie war in einem Kindergarten eines Frauenordens in der Hauptstadt Sucre tätig. 2019 wurde sie in die Bolivienkommission berufen.
Katharina Bode und Aurelio Pesoa sagen:
- Zur Bedeutung der Partnerschaft
Aurelio Pesoa: Der Austausch zwischen Nationalitäten, zwischen Kulturen ist eine gegenseitige Bereicherung. Vor allem hilft es, die eigene Realität aus einem aus anderem Blickwinkel. Die Partnerschaft ist eine große Unterstützung, die soziale und gesellschaftliche Wirklichkeit Boliviens über das eigene Land hinaus bekannt zu machen. Zudem ist sie Ausdruck dessen, was die Kirche Synodalität nennt: gegenseitiges Zuhören; miteinander auf dem Weg sein; Austausch und Kommunikation.
Katharina Bode: Die Partnerschaft hat eine lange Geschichte. Mit dem Bistum Hildesheim währt sie 35, mit dem Bistum Trier sogar über 60 Jahre. Es ist ein Netz, an dem viele Menschen teilhaben, das konkrete Anknüpfungspunkte für Partnerschaft auf Augenhöhe bietet. Meine Hoffnung, dass dieses Netz wächst, vor allem durch die gegenseitige Teilnahme am Leben der anderen. Es gibt für mich einen besonders großen Wert der Partnerschaft. Das ist Verantwortung. Ich möchte es so beschreiben: Ich fühle mich verantwortlich, weil ich das Leben und Schicksal anderer Menschen kenne. Wenn ich etwas nicht kenne verstehe oder wozu ich keinen persönlichen Bezug habe, dafür fühle ich mich nicht verantwortlich. Das wirkt sich im eigenen Handeln aus.
- Zum Blick auf die Ergebnisse der Zukunftskonferenz im Juli 2021
Katharina Bode: Drei Tage lang haben wir online mit Engagierten aus Bolivien, Trier und Hildesheim diskutiert, haben gemeinsam den Stand der Partnerschaft ausgewertet und Optionen für die Zukunft erarbeitet. Das war ein spannender Prozess, in bunt zusammengewürfelte Gruppen. Große Motivation, viele unterschiedliche Ideen, aber ein gleiches Ziel – und getragen von einem immer spürbaren Gemeinschaftsgefühl. Zwei Punkte waren für mich zentral. Zum einen die Beteiligung junger Leute, gerade was die Freiwilligen betrifft, die jeweils für ein Jahr in das andere Land gehen. Kein Freiwilligendienst hat mich nachhaltig beeindruckt. Das geht vielen Freiwilligen so. Diese Energie, die Rückkehrende mitbringen sollten wir weiter nutzen und noch enger mit den Direktpartnerschaften zwischen Gemeinden. Das weitet auch den Blick, weil junge Menschen sehr am Thema der interkulturellen Kommunikation interessiert sind. Das gilt zudem für den hohen Stellenwert der Sorge um das gemeinsame Haus. Das Engagement von jungen Menschen und Schöpfungsbewahrung passen gut zusammen.
Aurelio Pesoa: Die Frage der Mission ist auf der Zukunftskonferenz neu gestellt worden. Diese Perspektive war lange zu wenig sichtbar. Mission bezieht sich dabei nicht nur auf religiösen oder spirituellen Bereich, sondern beinhaltet auch Aktion und Aktivität. Ein Beispiel: Als Christen haben wir eine Verantwortung gegenüber der Schöpfung, die Sorge für das gemeinsame Haus, in dem wir alle leben. In Bolivien nehmen wir das Thema lange noch nicht ernst genug.
- Zum Engagement zur Schöpfungsbewahrung
Aurelio Pesoa: Wir sehen in Bolivien sehr konkret die Folgen des Klimawandels. So ist eine Skipiste auf Chacaltaya vollständig verschwunden. Doch beim Realisieren, was das bedeutet, sind wir noch sehr langsam. Die Wissenschaft spricht sehr technisch über Klimawandel. Die Leute verstehen das noch nicht und verstehen es umso weniger als Frage der eignen Verantwortung. Gegenüber der Regierung müssen wir diese Fragen eher vorsichtig ansprechen. Sie ist an diesem Punkt sehr sensibel und wirft anderen Ländern oder Institutionen, die über Bolivien hinausgehen, Einmischung in die inneren Angelegenheiten vor.
Katharina Bode: Ein blinder Aktionismus von Deutschland aus, nutzt ja auch nichts. Besser ist es, im Rahmen der Partnerschaft Initiativen in Bolivien zu unterstützen, zum Beispiel durch die Finanzierung von wissenschaftlichen Gutachten zu Boden- oder Wasserproben. Aber es bleibt auch unsere Aufgabe, den eigenen Konsum überprüfen. Woher kommen die Produkte, die wir verwenden, was sind deren wirklichen ökologischen Kosten? Wir können dabei Dinge in den Blick nehmen, die nicht so augenfällig sind. Zum Beispiel: Was ist mit Gold, das wir als Schmuck tragen? Der Abbau von Mineralien in Bolivien und anderen Ländern der Erde vergiftet die Umwelt.
- Zu Anstrengungen der Kirche gegen den Klimawandel
Aurelio Pesoa: Die Stromerzeugung in Bolivien erfolgt vor allem mit Gas. Die Förderung geht aber zurück und natürlich sind irgendwann auch unsere Vorräte erschöpft. Wir müssen deshalb an die Zukunft denken. Erneuerbare Energien wie Fotovoltaik könnten eine gute Antwort sein, zumal z.B. in Trinidad/Beni der Strom am teuersten ist in ganz Bolivien. Die Kirche an ihren verschiedenen Standorten könnte Pilotprojekte starten und begleiten. Es ist wichtig, Zeichen zu setzen.
Katharina Bode: Das wäre ein guter Anlass für Kooperationen zwischen bolivianischen und deutschen Kirchengemeinden. Beide Gemeinden nutzen ihre Gebäude für Solarenergie.
- Zur Situation von Frauen in der Kirche
Aurelio Pesoa: Grundsätzlich muss ich sagen, dass wir in als Kirchen von Hildesheim und von Bolivien hier in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Bedürfnissen unterwegs sind. Es gibt ein neues Dokument des Papstes über das Amt des Katechisten. In Bolivien nehmen oft Frauen diese Aufgabe der Glaubensweitergabe ein. Das ist ein, wenn auch kleiner Schritt nach vorne – wie das Mitwirken von Frauen zum Beispiel als Lektorin in Gottesdienst.
Katharina Bode: Für uns im Bistum Hildesheim ist die Situation klar: Frauen sind in der Kirche Grenzen gesetzt. Dann muss sich eben die Kirche wandeln. Es geht nicht, dass Frauen allenfalls mitreden, aber nicht mitentscheiden dürfen.
- Zu Wünschen für die Partnerschaft
Aurelio Pesoa: Natürlich wünsche ich mir, dass wir gemeinsam nach Lösungen für die Herausforderungen und Chance der Partnerschaft suchen: Das heißt zum Beispiel mit mehr Kreativität für synodalen Weg einzutreten, wirklich zu schauen, wie wir uns austauschen, wie wir im Gespräch bleiben.
Katharina Bode: Ein großer Wunsch ist die Arbeit mit den zurückkehrenden Freiwilligen fortzusetzen, aber andere Themen nicht aus Auge zu verlieren. Im Partnerschaftsvertrag haben wir fünf Ziele benannt: Spiritualität, synodale Prozesse, Freiraum für junge Leute zu schaffen, Frauen ermutigen und uns um das gemeinsame Haus sorgen. Zu jedem Ziel jedes Jahr ein Projekt, das wär’s doch.
Rüdiger Wala