Ein Ständchen, viel Kaffee und gute Ratschläge
Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen. Eine Binsenweisheit. Aber manchmal sind es die kleinen Tipps und unbürokratische Hilfen, durch die Seele und Körper beieinander bleiben. Erfahrungen der Caritas-Konferenz in der Gemeinde St. Nikolaus in Burgdorf.
Schön, dass Sie wieder da sind, freut sich Angelika Wirz. Der große, kräftige Mann vor ihr lacht, drückt ihr herzhaft die Hand. Man kennt sich. Man benutzt den Vornamen. Aber bleibt beim Sie. Eine Frage des Respekts beim Nikolausfrühstück der Caritas-Konferenz in Burgdorf. Hier ist an jedem Samstag zwischen 9 und 10.30 Uhr Nikolausfrühstück. Schließlich trägt die Pfarrei das Patronat des sowohl barmherzigen wie Partei ergreifenden Bischofs aus Myra.
Der Schutzheilige verpflichtet: Seit zwölf Jahren lädt die Caritas-Konferenz Menschen vor allem in wirtschaftlichen Notlagen zu Kaffee, Brötchen ein: Und zu etwas Gesundem wie Obst und Jogurt, wie Angelika Wirz ergänzt. Um die 20 Frühstücker sind immer da. Doch geht es nicht nur um das Nahrhafte auf dem Tisch. Zum einen sind es Sachen für die Seele, die eine Rolle spielen: Raus kommen, unter Leuten sein, miteinander reden all das ist wichtig, meint Angelika Wirz. Zum anderen wird es handfest: Denn Angelika Wirz hilft, wenn es Probleme mit dem Amt gibt. Da ergreift die Betriebswirtin und Gesundheitsberaterin deutlich Partei. Denn: So eng das soziale Netz gewebt ist immer noch fallen hier Menschen durch die Maschen.
Zwischen Handschlag und Jacke aufhängen kommt der Mann, Oliver, gleich zur Sache. Er hat mal wieder Probleme mit der Rentenversicherung. Eine Rehabilitationsmaßnahme wurde nach vielem Hin und Her bewilligt. Nur: die Anfahrt nicht. Da müssen Sie unbedingt Widerspruch einlegen, rät Angelika Wirz. Oliver lächelt. Das hat er schon getan. Gut, ich weiß ja, dass Sie sich damit auskennen, sagt Wirz. Wieder lächelt Oliver. Bestätigung und Zuspruch tun gut, machen Mut.
Pfarrgemeinde sorgt für Bett und Matratze
Später erzählt der 50-Jährige. Rücken und Knie sind kaputt. Oliver lebt von der sogenannten Grundsicherung: Ähnlich wie Hartz IV, sagt er. Große Sprünge sind da nicht drin. Manchmal hapert es sogar an etwas, was wirklich lebensnotwendig ist ein Bett. Zumindest eines, das nicht kaputt ist: Die Matratze war durchgelegen, der Lattenrost gebrochen. St. Nikolaus half. Die Gemeinde, nicht der Heilige. Aber der hätte seinen Segen dazu gegeben. Das ist eines der jüngsten Beispiele, wie wir durch Spenden unbürokratisch helfen können, betont Angelika Wirz. Wie überhaupt das Nikolausfrühstück eine reine Sache von Spenden und Ehrenamt ist: Ohne die Unterstützung der Gemeinde und der vielen Helferinnen und Helfer wäre dieses Angebot undenkbar.
Nächstenliebe lebt bekanntlich auch vom Vertrauen: Niemand muss bei uns belegen, ob er oder sie bedürftig ist, erläutert Angelika Wirz. Wer durch die Tür im Gemeindehaus kommt, ist für sie schlicht bedürftig. Ob obdachlos, ob arm oder einfach nur einsam. Ihre Erfahrung: Das Vertrauen, das wir unseren Gästen entgegenbringen, bekommen wir von ihnen zurückgeschenkt. Dann wird viel erzählt: über Schicksalsschläge, die Menschen aus der Bahn geworfen haben, über Probleme, die sie nicht loswerden können. Oder über Schwierigkeiten, die unerwartet auftauchen.
Wie unlängst bei einer Mutter von zwei Kindern. Sie hat gerade mit ein paar Stunden wieder zu arbeiten begonnen, berichtet Angelika Wirz. Eine (unerwartete) Folge: Nicht alles, was bisher vom Amt übernommen wurde, kann weiter beantragt werden. Jetzt ging es um einen Zuschuss für die Klassenfahrt der Tochter. Kein Geld von der öffentlichen Hand, die Zeit zu kurz, um etwas gezielt anzusparen. Klassische Lücke im sozialen Netz, meint Angelika Wirz. Wieder half die Gemeinde. Allerdings gab es bei der berweisung einen Zahlendreher und ein weiteres Problem: Der Hinweis der Bank wurde in einer Hosentasche mitgewaschen. Angelika Wirz zeigt den im wahrsten Sinn des Wortes verwaschenen Zettel: Die Zahlen sind aber noch erkennbar, zum Glück. Eine Hausaufgabe, die sie nun mitnimmt.
Die Verlobung wurde beim Nikolausfrühstück gefeiert
Doch nicht nur dieser Einsatz findet wohl den Segen von St. Nikolaus. Neben Oliver sitzt Gaby. 45 Jahre alt, an Epilepsie erkrankt. Sie listet auf: Autofahren darf ich nicht, keine Maschinen bedienen, keinen Stress haben was kann ich da noch arbeiten? Im Amtsdeutsch: multiple Vermittlungshemmnisse. Im Klartext: keine Chance, die erste Hürde bei einer Bewerbung zu überspringen.
Doch auch für sie hat St. Nikolaus Segen gebracht. Der Oliver, das ist ja ein ganz netter Kerl, hat sie sich gedacht. Und Oliver? Der findet, dass die Gaby eine tolle Frau ist. Kennengelernt beim Nikolausfrühstück, war klar, wo die beiden ihre Verlobung feiern an einem Samstag in St. Nikolaus. Beim Frühstück. Seit zwei Jahren sind die beiden ein Paar.
Auch diesmal gibt es etwas zu feiern zum Nachfeiern. Dominic hatte Geburtstag. 57 Jahre ist er geworden. Süßes hat er mitgebracht. Sowohl für die Ehrenamtlichen als auch für die Mitfrühstücker. Das ist doch wie Familie hier, sagt er. Die Familie bedankt sich. Mit einem Ständchen: Viel Glück und viel Segen. Erst etwas zaghaft, beim zweiten Durchsingen deutlich kräftiger.
Andreas ist heute mit zweien seiner drei Kinder da. Die beiden sind deutlich schneller mit dem Frühstück fertig als ihr Vater. Jetzt spielen sie auf dem Flur. Der 42-Jährige ist Erzieher und hat sich oftmals von Befristung zu Befristung gehangelt. Kinder und Bildung mögen von der Politik zwar als zentrale Zukunftsprojekte gesehen werden vor Ort sieht es manchmal nüchterner aus. Andreas schätzt die Gemeinschaft, die sich hier am Frühstückstisch entwickelt. Wir verabreden uns manchmal in der Stadt, erzählt er. Das helfe, sich nicht von den Problemen erdrücken zu lassen.
Hildegard nickt. Die 47-Jährige ist alleinerziehende Mutter, arbeitet stundenweise als Reinigungskraft, bezieht ergänzend Arbeitslosengeld II. Seit sechs Jahren ist sie regelmäßig beim Frühstück zu Gast: Klar muss ich sehen, wie ich über die Runde komme, sagt sie. So nutzt sie auch ein anderes Angebot in Burgdorf die Tafel. Mal rauskommen, über andere Dinge reden das bringt sie nach St. Nikolaus. Aber letzten Endes sind wir hier eine große Familie, ist Hildegard sicher. In einer Familie hilft man sich. Auf die eine oder andere Weise. Mit Brötchen und Kaffee, mit Obst und Jogurt, mit offenen Ohren und Ratschlägen zur rechten Zeit.
Rüdiger Wala