Eine Kerze für Gauck

Basilika St. Clemens bis auf den letzten Platz gefüllt

Der Lokführerstreik am Freitag gefährdete auch den Besuch von Joachim Gauck in Hannover. Doch alles ist gut gegangen: Bedanken sie sich bei der Dame, die eine Kerze dafür angesteckt hat, dass mein Zug fährt, sagte Gauck bei seiner Lesung in der Basilika St. Clemens, und soll ich ihnen was sagen, alle Züge standen, nur meiner fuhr. Und Gauck war rechtzeitig in Hannover, um den Vormittag mit Schülern der Lutherschule zu verbringen und abends in der Basilka St. Clemens aus seinem Buch Winter im Sommer Frühling im Herbst zu lesen.

Joachim Gauck gewährte den Zuhörern einen sehr persönlichen Einblick in sein Leben. Er beschrieb, die Zeit in Güstrow, als sein Vater vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und nach Sibirien deportiert wurde, für ihn und die Familie ein Winter im Sommer. Anhand seiner Biografie schilderte Gauck die Situation der Menschen in der DDR, ihre Ängste und Sorgen, aber auch, wie man lernt, sich mit einem totalitären System zu arrangieren. Zum Beispiel in dem man den eigenen Kindern im Urlaub einredet, dass Eis in Warnemünde am Strand viel besser schmeckt, als das an der Küste in Dänemark.

Es hat Freude gemacht, zuzuhören. Gauck fesselte die Zuhörer regelrecht. Mit fester Stimme las er Seite für Seite. Man nahm Anteil am Leben der Gaucks, fühlte mit, wie die Kinder darunter gelitten haben, nicht auf die Oberschule gehen zu dürfen und sein einer Sohn nur über große Umwege das Abitur nachmachen durfte. Die Unzufriedenheit wuchs nicht nur in der jüngeren Generation. Seine beiden Söhne stellten einen Ausreiseantrag, der schließlich auch kurz vor Weihnachten gewährt wurde. Gauck musste schlucken und holte einmal tief Luft, als er den Passus vorlas, der vom Weihnachtsfest in der kleinen Restfamilie handelt. Man merkte ihm an, dass es ihm auch heute, über zwanzig Jahre später noch nahe geht.

Schließlich kommt der Bürgerrechtler, der eine Schlüsselfigur der gewaltlosen Wende in der DDR war,  zum Frühling im Herbst, der Zeit des Neuaufbruchs. Gauck sinnierte darüber nach, dass manches zu schnell gegangen sei, dass man keine Zeit hatte, sich auf den Westen vorzubereiten. Oder, dass nicht alles im Westen gut ist, so wie auch nicht alles im Osten schlecht war.

Joachim Gauck liebt die Freiheit, sie ist für Ihn ein großes Gut: Wir wissen die Freiheit zu schätzen, weil wir sie nicht immer gehabt haben. Die Freude, das erreicht zu haben, womit keiner in er DDR gerechnet hatte, gehört zu Gaucks Buch genauso dazu, wie die Stimmungsbeschreibung des Frühlingstags im Mai vergangenen Jahres, als er sich der Wahl zum Bundespräsidenten stellte.

Während der Lesung hätte man in St. Clemens eine Stecknadel fallen hören können. Gebannt lauschten die Zuhörer den Worten Gaucks. Am Ende gab es stehenden Beifall, aber auch nachdenkliche Gesichter über das Leben hinter dem Eisernen Vorhang, in das Gauck einen Einblick gewährt hatte.

Die Gauck-Lesung war eine gemeinsame Veransdtaltung von ka:punkt, der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) und der Buchhandlung Decius.

(pkh)