Entsetzen, Mitgefühl - und Entschlossenheit
250 Teilnehmer*innen beim interreligösen Friedensgebet in der Marktkirche. Gedenkan an die Opfer, Zeichen gegen Antisemitismus.
Können Gebete etwas gegen Gewalt bewirken? Oder sind sie nur verhallende Worte im Angesicht von Bedrohung, Schrecken und Tod?
Gebete können etwas bewirken. Dieses Gefühl, diese Zuversicht geht vom interreligiösen Friedensgebet in der Marktkirche aus. Gut 250 Menschen kommen dort auf Einladung von Religions for Peace zusammen um ihr Entsetzen und ihre Abscheu ausdrücken über den feigen Anschlag auf die Betenden zum Versöhnungsfest Jom Kippur in der Synagoge in Halle. Sie kommen zusammen, um ihr Mitgefühl zu teilen mit den beiden Getöteten, mit ihren Familien und Freunden. Sie kommen aber auch Zusammen, um etwas gegen die eigene Hilflosigkeit zu tun weil jüdisches Leben in Deutschland selbst acht Jahrzehnte nach der Shoa wieder, nein, eigentlich immer noch bedroht ist.
Zwei Menschen sind tot. Erschossen von einem 27-jährigen, der vorher in Halle versucht hatte, in die Synagoge einzubringen. Ermittler gehen von einem antisemitischen Motiv und einem rechtsextremistischen Hintergrund aus. Der Hannoveraner Bürgermeister Thomas Herrmann bringt es auf den Punkt: Es wäre eine Schande für dieses Land, wenn jüdisches Leben nur noch in der Nische stattfinden kann. Der Anschlag auf die Synagoge macht eines deutlich: Das Versprechen unseres Landes, das jüdische Leben zu schützen, ist gebrochen worden. Zu lange sei die Gefahr des Rechtsextremismus verharmlost worden.
Gezeichnet von den Ereignissen in Halle tritt Ingrid Wettberg an das Mikrofon: Wir haben gestern Szenen gesehen, die wir niemals mehr in Deutschland erleben wollten", sagt die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover erst mit brüchiger, dann immer stärkerer Stimme: Es war ein Anschlag auf unsere Werte in Deutschland.
Die jüdische Gemeinde in Hannover möchte ein offenes Haus sein: Aber wir können kein offenes Haus sein, betont Wettberg. Mehr noch: Wir werden wahrscheinlich ganz andere Sicherheitsmaßnahmen einführen müssen, leider. Vor der Marktkirche patrouillieren Polizist*nnen. Aber: Trotz der Bedrohung denkt sie nicht daran, in ein anderes Land auszuwandern. Da sage ich Nein, denn ich möchte mit Ihnen hier weiterleben, mit allen, die guten Willens sind. Jetzt mit entschlossener Stimme.
Unser Mitgefühl gilt den Opfern, die Ziel der sinnlosen Wut eines Menschen geworden sind, erklärt die Muslimin Hamideh Mohagheghi, die Sprecherin des Rates der Religionen: Mit unseren jüdischen Geschwistern teilen wir Sorge und Trauer, die ihren höchsten Feiertag überschattet. Der Satz, so etwas dürfe nie wie passieren, bleibe eine Floskel, wenn nicht ernsthafte Maßnahmen folgen.
Von Normalität sind wir weit entfernt, solange Synagogen bewacht werden müssen, stellt auch der Bahaii Ali Faridi als Sprecher von Religions for Peace heraus. Der Superintendent Thomas Höflich sieht die Gesellschaft in der Pflicht gegen Antisemitismus aufzustehen: Wir müssen gemeinsam wachsam sein und entschlossen gegensteuern.
Helfen nun Gebete, in der Tradition des Judentums und des Islams, der Bahaii, der Buddhist*innen und aus dem Hinduismus? Und der Christ*innen? Wir bitten dich, Gott, dass du Hoffnung schenkst, wo Verzweiflung herrscht, betet der katholische Propst Christian Wirz zum Abschluss des Friedensgebetes: Und ich bitte dich, dass du deinen guten Geist in dieses Land gibst wo böse Geister herrschen, Geister des Hasses und der Vorurteile. Das vermögen Gebete: gemeinsam zu trauen, zu stärken und gemeinsam gegen diese bösen Geister aufzustehen.
Rüdiger Wala