Geschichte ist nicht von gestern
Blüte, Verschwinden, Neuaufbau ? und das Wirken quer durch die Gesellschaft: Die Ausstellung Katholisch in Hannover im Historischen Museum, zeigt bis zum 30. September durch Kostbarkeiten, Kult und Kuriositäten, welche Akzente der katholische Glauben rund um die heutige Landeshauptstadt setzt.
Es ist nur eine kleine Urkunde. Akkurat per Hand geschrieben. Aber sie hat eine große, eine weitreichende Wirkung. Gewissermaßen ist sie das, was heute unter dem Begriff Deal laufen würde. Ein Geschäft.
Wir schreiben das Jahr 1692: Auf der einen Seite der hannoversche Herzog Ernst August. Strammer Lutheraner mit großen politischen Plänen. Kurfürst will der Potentat aus dem Calenberger Land werden und damit zu den neun ranghöchsten Fürsten im deutschen Reich zählen. Auf der anderen Seite der Kaiser Leopold I., katholischer Habsburger. Das Reich ist von Außen bedroht, Leopold will es im Inneren auch konfessionell zusammenhalten. Der Deal: Ernst August steigt zum Kurfürst auf und sichert dem katholischen Herrscher unter anderem den Bau einer katholischen Kirche in seinem Fürstentum zu erstmalig nach der Reformation. Bezahlen müssen den Bau allerdings die Katholiken selbst.
So ist das Dokument gewissermaßen die Gründungsurkunde der Basilika St. Clemens. Zwar dauert es nach der Unterzeichnung noch 26 Jahre (davon sieben Jahre Bauzeit), bis das Gotteshaus 1718 geweiht werden kann. Der 300. Weihetag von St. Clemens ist Anlass der Ausstellung im Historischen Museum. Auch wenn das aus dem 18. Jahrhundert stammende Modell, wie die Basilika einmal aussehen sollte (und mangels Finanzmittel nicht umgesetzt werden konnte), durchaus im Mittelpunkt der über 100 Exponate steht, ist sie doch keine Ausstellung über St. Clemens. Sie zeichnet in 15 Abschnitten die Geschichte der Katholiken in Hannover und Umgebung nach von der Blüte des Katholizismus im Mittelalter über sein Verschwinden zur Zeit der Reformation bis zur Minderheiten-Situation in der Gegenwart. Sie zeigt Kostbarkeiten, sie erläutert den Kult und präsentiert durchaus Kurioses.
Erst alles, dann nichts, dann wieder etwas katholisch
Wie aus der Zeit, als tatsächlich alles noch katholisch war vor der Reformation. Herrscherinnen ließen sich mit einem besonders frommen Zeichen ihres Glaubens porträtieren: dem Rosenkranz. In nachreformatorischen Zeichen undenkbar. Ebenso undenkbar: Ablassbriefe der zumindest äußere Anlass, der zur Reformation führte.
Eine Folge der Einführung des evangelischen Bekenntnisses 1533: die Katholiken werden aus der Altstadt Hannovers vertrieben. Selbst 200 Jahre später versagte der Rat der Stadt den ?Römischen? die Bürgerrechte, erläutert Museumsdirektor Thomas Schwark, der die Ausstellung auch konzipiert hat. Das habe sich erst mit der absolutistisch-barocken Machtentfaltung der Welfen-Herzöge verändert.
Glanzvolle Hofkultur geht nur mit Künstler aus Italien und Gesandten aus Frankreich und die sind katholisch. 1651 wird Herzog Johann Friedrich, ein kunstsinniger Geist, katholisch: Er zog mit Jesuiten und Kapuzinermönchen, engagierte Ordensgeistliche an seinen Hof, ließ die Heilig-Blut-Reliquie und den Cranach-Altar aus Einbeck nach Hannover überführen und holte den welfischen Reliquienschatz aus Braunschweig hierher, berichtet Schwark. Die erste heilige Messe nach der Reformation wird 1665 gefeiert. Nicht von einer deutschen Gemeinde, sondern von Menschen aus Italien und Frankreich.
Der Gottesdienst war für sie ein Stück Heimat, ergänzt der hannoversche Propst Martin Tenge. St. Clemens war und ist immer eine Kirche für Migranten gewesen: Erst für die Höflinge, dann für die Arbeiter aus dem Eichsfeld, die im Zuge der Industrialisierung kommen, die Vertriebenen aus Schlesien nach dem Zweiten Weltkrieg, dann für Gastarbeiter aus Polen, Italien und Kroatien, schließlich die Lateinamerikaner: Zugezogenen Heimat geben das zieht sich durch unsere Geschichte als Katholiken in Hannover, stellt Tenge heraus. Daher steht am Eingang der Ausstellung auch eine lebensgroße aus Lindenholz gefertigte Figur der heiligen Hedwig. Nicht nur die Patronin von Schlesien, sondern die Schutzheilige all derer, die ihre Heimat verlassen müssen.
Der Kult: Krippenfiguren und Kruzifixe
Wie weltweit verbindend der katholische Glaube ist, wird auch in dem Abschnitt der Ausstellung deutlich, der mit Messe feiern und Sakramente spenden Elemente des katholischen Kultus vorstellt: Krippenfiguren und Kruzifixe, Baldachin und Beichtstuhl, Weihrauchfass und Weihwasserbehälter. Sie stehen für das, wie Katholiken weltweit das Geheimnis des Glaubens feiern die Auferstehung und die Wiederkunft Christi. Und seinen Tod mit hölzernen Karfreitagsklappern beklagen.
Weiter führt die Ausstellung quer durch katholisches Leben: den Hilfsdiensten der Kirche zum Beispiel. Für Kurator Schwarz verbinden die Menschen mit der Katholischen Kirche zuerst den Papst und dann das Wirken der Caritas. Die Geschichte der Ordensgemeinschaften wird ebenso aufgegriffen wie die der katholischen Verbände, Schulen und der Jugendbewegung. Erinnert wird an die beiden Katholikentage in Hannover 1924 und 1962 und an das politische Wirken von Katholiken.Viele der Ausstellungsstücke stammen aus dem Bestand des Historischen Museums, aus der Propstei St. Clemens, der Pfarrei St. Heinrich, von Privatleuten und weiteren katholischen Gemeinden. Vieles hat auch die Pfarrei St. Joseph beigesteuert darunter auch eines der ungewöhnlichsten Exponate, eine echte Kuriosität: eine Figur des heiligen Luigi Scrosoppi. Der Oratorianerpater ist höchstoffiziell der Schutzheilige des Fußballspieles. Vom Malteser Hilfsdienst kommt ein Motorrad, das beim Sanitätsdienst zur Einsatz kam, als 1987 Papst Johannes Paul II. Deutschland besuchte.
Aber es geht nicht um die heile Welt der Katholischen: Wir haben die Auseinandersetzung mit kritischen Fragen nicht gescheut, sagt Hannovers Kulturdezernent Harald Härke. Der Missbrauchsskandal, der auch Hannover 2010 erschüttert hat, bleibt in der Ausstellung nicht ausgespart. Gleichzeitig steht die katholische Kirche durch den Priestermangel, größeren Pfarrgemeinden und Kirchenschließungen vor deutlichen Herausforderungen, meint Härke. Der aus Hildesheim stammende Kulturdezernent ist selbst katholisch, hat als Ministrant im Hildesheimer Mariendom gedient: Insofern ist diese Ausstellung für mich eine Sache des Herzens.
Ausstellungsbesucher sind eingeladen kritische Fragen auf einem Zettel zu notieren und sie in einen Kasten zu werfen. Am 18. September werden dann die gesammelten Fragen von Propst Tenge und weiteren engagierten Katholikinnen und Katholiken aus Stadt und Region beantwortet. Für Kinder gibt es vor allem in den Sommerferien viele Mitmachangebote. Das Motto ist durchaus katholisch inspiriert: Mach 2, gib 1. Ein Teil der Dinge, die dabei hergestellt werden, sollen an caritative Einrichtungen verschenkt werden.
Programm: Die Ausstellung Katholisch in Hannover ist im Historischen Museum bis zum 30. September zu sehen. Führungen gibt es unter anderem am 27. Mai und am 10. Juni jeweils um 15 Uhr. Am 17. Juni führen Propst Martin Tenge und Museumsdirektor Thomas Schwark bei einer Tandemführung durch die Schau.
Die literarische Komponistin Marie Dettmer stellt am 5. August und am 15. September jeweils um 14 Uhr in einem Rundgang Texte zum 300-jährigen Bestehen der Clemenskirche vor.
Der Historiker Hans Georg Aschoff eröffnet am 7. Juni, 18 Uhr, eine Vortragsreihe, in der es um Hannovers Katholiken geht. Er spricht über den Politiker Ludwig Windthorst (1812 bis 1891).
In einer Podiumsdiskussion geht es am 18. September, 18 Uhr, um das Thema Den katholischen Glauben aktiv leben Herausforderungen und Aufgaben.
Kontakt: Historisches Museum Hannover, Pferdestraße 6, 30159 Hannover, geöffnet dienstags 11.00 bis 20.00 Uhr, mittwochs bis sonntags 11.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt 4 Euro, ermäßigt 3 Euro. Internet: <link https: www.hannover.de kultur-freizeit museen-ausstellungen museumsführer top-museen historisches-museum-hannover sonderausstellungen katholisch-in-hannover external-link-new-window externen link in neuem>www.historisches-museum-hannover.de
Rüdiger Wala