Heimkehr zum Jubiläum
Am kommenden Wochenende, 25. und 26. Januar, gehen die Feierlichkeiten zu 50 Jahren St. Michael in Hannover-Wülfel zu Ende. Nach zwei Monaten mit Gottesdiensten, Musik, Erinnerung an Keller-Theken und einer außergewöhnlichen Heimkehrerin.
Sie ist wieder da. Vergleichsweise klein. Deshalb hat sie schlimme Zeiten überlebt. Große Aufgaben hat sie übernommen und war trotzdem in Vergessenheit geraten. Jetzt erklingt sie wieder, zur Wandlung von Brot in den Leib Christi: eine fast unscheinbare Glocke. Aber sie ist für die Gemeinde St. Michael in Hannover-Wülfel eine außergewöhnliche Heimkehrerin.
Den 50. Weihetag ihrer Kirche haben die Katholiken im Süden der Landeshauptstadt in den letzten knapp zwei Monaten gefeiert. Ein moderner Zentralbau heißt es im Handbuch des Bistums Hildesheim zum Baustil der Kirche, die heute bereits unter Denkmalschutz steht. Roter Backstein, flach, leicht verwinkelt, kleine Buntglasfenster in Beton, mit Gemeindezentrum und Pfarrhaus baulich verbunden. So hat Baudirektor Franz-Otto Lutz zusammen mit dem Architekten Rudolf Simon das Gotteshaus konzipiert. Es ist die zweite Kirche für die Gemeinde St. Michael.
Die erste Kirche: Gasthaus mit Tanzsaal
Das erste Gotteshaus wurde 1922 konsekriert. Pläne für eine Kirche im Stadtteil gab es bereits seit 1914 fertiggestellt und genehmigt. Viele Katholiken waren aus dem Eichsfeld nach Hannover gezogen, um Arbeit in den Industriewerken zu finden. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte den Bau. Nach Kriegsende war das Geld knapp. Doch kurzerhand wurde ein Gasthaus erworben mit Tanzsaal und Kegelbahn. Eine Notkirche, ein Provisorium, das bis 1969 dauern sollte.
Und dann ist da noch diese kleine Glocke. 1922 in Apolda-Bockenem gegossen gehörte sie zum Dreigeläut der St. Bernward-Kirche in Hannover-Döhren, die 1892/93 errichtet worden war. Ende der 1930er-Jahre verfügten die Nationalsozialisten, dass Kirchen künftig nur noch eine Glocke haben sollten. Metall wurde zur Vorbereitung des Krieges benötigt, Glocken sollten zu Waffen eingeschmolzen werden.
Daher wanderte die Glocke von Döhren in die Tochterkuratie nach Wülfel. Die Notkirche erhielt einen kleinen Dachreiter. Von dort rief sie 30 Jahre lang zur Heiligen Messe, erklang bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Dann wurde sie vergessen. Die Gemeinde zog 1969 um und die Glocke blieb im Dachreiter hängen. Auch als ein Elektro-Unternehmen einzog und die ehemalige Notkirche als Lager nutzte.
Schon seit den frühen 1950er-Jahren bestand in der St.-Michael-Gemeinde der Wunsch nach einer neuen, größeren Kirche. Industrieunternehmen siedelten sich im Stadtteil an und mit ihnen kamen wieder Arbeiter und ihre Familien zunächst Heimatvertriebene und Flüchtlinge, dann Arbeiter aus Italien und vor allem Spanien.
1956 schieden die Katholiken der bisherigen Kuratie Hannover-Wülfel aus der Pfarrgemeinde St. Bernward aus und bildeten eine eigene Kirchengemeinde. Doch zunächst mussten die Kriegsschäden an den anderen Kirchen Hannovers beseitigt werden. So dauerte es weitere 13 Jahre bis Weihbischof Heinrich Pachowiak schließlich die heutige Kirche St. Michael weihte. Erbaut wurde das Gotteshaus mit Kirchenzentrum mit Hilfe des Paderborner Bonifatiuswerkes.
Das Auf und Ab einer Pfarrei
Die Pfarrei ist Spiegel des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auf und Ab der Bundesrepublik. Zunächst wächst sie und es entwickelt sich eine rege Kinder- und Jugendarbeit: mit Zeltlagern, Fußballturnieren, Mini-Olympiaden, Ausflügen und für Eingeweihte mit der auch ein wenig berüchtigten Theke im (Jugend-)Keller.
Doch gerade durch die Wirtschaftskrisen Ende der 1970er-Jahre und dem Abbau von Industriearbeitsplätzen beginnt die Gemeinde zu schrumpfen von einstmals über 2000 Katholiken auf unter 1000. Zeitweilig gilt St. Michael als kleinste Pfarrei in der Stadt Hannover. 2008 droht sogar die Profanierung der Kirche. Das Bistum sieht St. Michael als nicht mehr für die Seelsorge notwendig an. Doch die Gemeinde wehrt sich. Der Dekanatspastoralrat Hannover schließt sich dem an.
Fast geschlossen, dann im Blickpunkt
Fast geschlossen, richten sich vier Jahre später die Augen des katholischen Deutschlands auch auf St. Michael. Auf Einladung des damaligen Bischofs Norbert Trelle macht 2012 die zweite Etappe des bundesweiten Gesprächsprozesses der Deutschen Bischofskonferenz in Hannover Station. Getagt wird im Congress Center Wienecke XI., gebetet in der gegenüberliegenden Kirche St. Michael. Erzbischof Robert Zollitsch, zu dem Zeitpunkt Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, predigt dabei über die Suche nach dem Wesentlichen, dem heute Entscheidenden einer Zivilisation der Kirche, die auch für eine Stadt wie Hannover Bedeutung habe.
Zurück zu der kleinen Glocke: Zum 50. Weihejubiläum sollte sie endlich einen Platz in St. Michael finden. Wackeren Helfern des Technischen Hilfswerkes war es vorbehalten, die Glocke vom Dachreiter der ehemaligen Notkirche zu montieren. Danach wurde die Glocke etwa 80 Zentimeter hoch bei einem Durchmesser von 70 Zentimetern gereinigt. Rost hatte sich angesetzt. Am 1. Dezember letzten Jahres wurde sie im Beisein von gut 80 Gemeindemitgliedern in die St.-Michael-Kirche transportiert. Nun steht sie etwas erhoben neben dem Altar. Sie läutet nicht mehr, um Katholiken zur heiligen Messe zu rufen. Aber die Ministranten schlagen sie in der Eucharistiefeier zur Wandlung an. Eine außergewöhnliche Heimkehr.
Und: Ist es nun Zufall oder doch Fügung? Die namenlose Glocke trägt eingraviert ihr Gussjahr 1922. Das Jahr, in dem die Notkirche konsekriert und dadurch die Gemeinde St. Michael gegründet wurde.
Zum Abschluss singt am Samstag, 25. Januar, der Gospelchor ThoMoRoVoices in der Kirche. Beginn ist um 19 Uhr (Hildesheimer Straße 365).
Am Sonntag, 26. Januar, feiert Regionaldechant Propst Christian Wirz den Abschlussgottesdienst (18.30 Uhr).
Rüdiger Wala