Kleidung bitte nach Sittengesetz
Seit 150 Jahren gibt es in Hannover Kolpingsfamilien. Gegründet wurde die erste von ihnen 1865 von 13 Gesellen und einem Kaplan, die zur damaligen Gemeinde St. Clemens gehörten. Grund genug für die rund 1000 Mitglieder des Verbandes, in diesem Jahr ihr Jubiläum groß zu feiern. Unter anderem tun sie das mit einer Ausstellung, die nicht nur einen Einblick in 150 Jahre Kolping in Hannover ermöglicht, sondern auch Zugang verschafft zum Lebensgefühl vergangener Epochen.
Karl Göbel war 19 Jahre alt, als er im Jahr 1919 in den Katholischen Gesellenverein in Dortmund aufgenommen wurde. Ein schlauer Schachzug von ihm, denn dem jungen Schuhmacher stand eine harte Zeit bevor: Er musste bald als Geselle auf Wanderschaft gehen, wollte er jemals Schuhmachermeister werden. In der Fremde, alleine und mit wenig Geld sollte er auf dieser traditionellen Reise neue Arbeitsmethoden kennenlernen und sich weiterbilden. Die Mitgliedschaft im Katholischen Gesellenverein, gegründet schon einige Jahrzehnte zuvor von Adolf Kolping, half ihm dabei, eine sichere Unterkunft und Unterstützung zu bekommen.
Los ging es für Karl Göbel 1925: In Benrath fand er im März bei einem Kaplan Unterschlupf, in Cloppenburg bei einem Vikar. Auch in Bersenbrück, Osnabrück, Quakenbrück und Melle half ihm der Verein weiter. Minden war dann die letzte Station vor Hannover, die Karl Göbel in seinem Wanderbuch des Katholischen Gesellenvereins notierte. In Hannover verliert sich Göbels Spur. Vielleicht hat er hier einen Meister gefunden, der ihn aufgenommen hat, vermutet Reinhard Dammeyer, Vorsitzender der Kolpingsfamilien im Bezirk Hannover. Er hält das grüne kleine Heftchen vom Anfang des 20. Jahrhunderts in der Hand und entziffert die Sütterlin- Handschrift sorgsam. Das Heftchen ist nur ein kleines Stück der Ausstellung, die er und seine Mitschreiter zusammengestellt haben. Werbeplakate für Karnevalsveranstaltungen aus dem Jahr 1887, Postkarten von 1900 und Fotos aus der Kaiserzeit sind darunter. Aber auch Schriftsammlungen, Schallplatten aus den 60er Jahren und Berichte aus den 90er erzählen auf vier großen Schautafeln die 150- jährige Geschichte der Kolpingsfamilien in Hannover. Stellwände informieren über die deutschlandweite Geschichte und die Arbeitsschwerpunkte des Kolpingwerkes heute.
Das Herzstück der Ausstellung bilden die drei Gründungsdokumente der Kolpingsfamilie St. Michael in Döhren von 1922: die grün- braune Gründungsfahne, die Gründungsurkunde und das erste Protokollbuch der Kolpingfamilie, die sich bis 1937 auch während der Nazi- Zeit heimlich traf. Zwischenzeitlich waren diese Stücke verschwunden, erklärt Dammeyer. Aber vor einigen Jahren sind sie dann plötzlich wieder aufgetaucht. Wenn man bedenkt, was diese Stücke alles überstanden haben, sind wir sehr froh, sie in unserer Ausstellung zeigen zu können. Doch auch kuriose Stücke finden sich in der Sammlung und geben Einblicke in das Zeitgefühl vergangener Epochen: Fotos von Demonstrationen in den 60er Jahren zum Beispiel. Oder die Einladung zu einem Gesellschaftsabend im Februar 1926. Gespielt wurde unter anderem Don Juan von Mozart. Damit bei dem Zusammenkommen der Kolpingsfamilie aber trotzdem alles geregelt ablief, galt eine strenge Kleiderordnung: Kleidung muß dem Sittengesetz entsprechend sein.
Die Ausstellung zur Geschichte der Kolpingsfamilien in Hannover wird im Kolpinghaus Hannover e. V. (Escherstraße 12, Hannover) ab Samstag, 10. Oktober, bis zum Mittwoch, 28. Oktober, zu sehen sein und kann nach telefonischer Absprache unter der Telefonnummer 0511- 1317636 besichtigt werden. Für Gruppen gibt es die Möglichkeit, nach der Besichtigung der Ausstellung einen Gruppenraum zu nutzen.