Kleinod unterm Dach
Ein Elternzimmer unterm Dach der Schule ? das sieht ein bisschen danach aus, als ob Erziehungsberechtigte in den letzten Winkel eines Gebäudes abgeschoben werden. Zumindest auf den ersten Blick. Nach vier Stockwerken ergibt sich aber ein anderes Bild: das Elternzimmer hat für die St. Ursula-Schule in Hannover nicht nur besondere Bedeutung: Es ist auch ein architektonisches Juwel.
Wir standen durchaus vor einer Herausforderung, erläutert Petra Sauer, Architektin im Bischöflichen Generalvikariat Hildesheim. Zum einen brauchte das verwinkelte Schulgebäude in der Südstadt von Hannover einen Fluchtweg zwischen den Treppenhäusern. Zum anderen benötigt eine moderne Schule mit 1000 Schülerinnen und Schülern auch andere, funktionale Räume als ausschließlich Klassenzimmer. Ein Beispiel dafür: eine Bibliothek. 1500 Bücher gab es nun schon in der St.-Ursula-Schule eben in jenem Elternzimmer, weil es viele Mütter und ab und zu auch Väter sind, die den Bestand an Literatur aufgebaut haben, pflegen und das Verleihen organisieren.
Die Lösung für beide Probleme: Unterm Dach waren noch Zellen der Ursulinenschwestern, berichtet Petra Sauer. Der Frauenorden hatte die Schule von 1860 an aufgebaut und mit Unterbrechungen durch den Kulturkampf Ende des 19. Jahrhunderts und in den 1940er-Jahre durch die Nazi-Diktatur bis 1996 getragen. 2003 haben dann die Ursulinen Hannover verlassen.
Was also nun machen mit den winzigen, schlecht gedämmten und so nicht nutzbaren Räumen unter dem Dach? Der Vorschlag von Petra Sauer: Alles raus, Dachbalken freilegen, einen lichten, großen Raum schaffen, der Platz bietet sowohl für das Elternzimmer mit der Bücherei als auch den Fluchtweg.
Mitten durch den Raum läuft nun ein dunkelgraues Band auf dem Boden der Fluchtweg. Auf der Seite Richtung Dachschräge stehen sechs Bücheregale. Dazu einige kleine Schreibtische, damit Schülerinnen und Schüler in Freistunden daran arbeiten können. Auf der anderen Seite sind kleine runde Hocker und eine große Sitzlandschaft. Wir haben die Möbel so angepasst und flexibel gewählt, dass der Fluchtweg immer frei bleiben kann, betont Petra Sauer.
Freitag morgen, 9.15 Uhr: Pause in der St.-Ursula-Schule. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler machen sich auf den Weg in das Elternzimmer. Oder Raum A.3.03, wie er der Nomenklatur der Schule nach heißt. Oder Elzi im Jargon. Heute hat Ursula Dillinger Dienst: Wir haben an jedem Schultag drei Stunden geöffnet. Sie ist eine von etwa 20 bis 25 Müttern und Vätern, die regelmäßig dabei sind. Sie nimmt zurück gebrachte Bücher entgegen, leiht neue aus, verlängert Fristen oder gibt auch Tipps für frischen Lesestoff. Eine Schülerin möchte eine Fotokopie für den Unterricht: Aber bitte auf Folie. Auch das wird prompt erledigt.
Hier ist immer was los, erzählt Ursula Dillinger. Neben Büchern können sich die Schülerinnen und Schüler Bälle für die Pause leihen oder auch ein T-Shirt oder einen Kapuzenpulli kaufen aus der Kollektion der Schule. Mittlerweile sind alle Arbeitsplätze besetzt. In kleinen Gruppen arbeiten Mädchen und Jungen leise sprechend an Unterrichtsmaterialien. Andere Schülerinnen und Schüler finden nur noch einen Leseplatz auf dem Boden. Denn auch das geschwungene Sofa ist komplett belegt.
Henny und Rosa stöbern währenddessen in einem Bücherregal. Beide sind elf Jahre alt und kommen aus der 6b. Der Raum ist toll, so richtig hell, sagen sie. Vor allem sei es praktisch, dass sie hier in der Regenpause gemütlich Bücher lesen oder Arbeitsblätter ausfüllen können. Und es macht den beiden Mädchen überhaupt nichts aus, dass das Elternzimmer nun unterm Dach liegt: Nee, das ist doch echt schön. Klare Ansage.
Auch Schulleiter Norbert Junker ist rundum zufrieden mit der Dachbodenlösung. Vor allem runde sie die besondere Ausrichtung der Schule ab: Wir stehen in der Tradition einer Klosterschule, erinnert Junker. Dazu gehöre ein Platz zum Beten die Kapelle, die vor zwei Jahren renoviert wurde. Ein Patz für Gemeinschaft und Essen klösterlich Refektorium genannt, an der St.-Ursula-Schule das Forum. Und drittens schließlich eine Bibliothek, betont Junker. So lebt dann der ursulinische Geist weiter an der Schule auch ohne Zellen.
Rüdiger Wala