Modellprojekt oder Hau-Ruck-Lösung?
Buchstäblich in letzter Sekunde: Stadt und Region Hannover finden neue Immobilien für Obdachlosenhilfe. Caritas und Diakonie betreuen weiter. Doch fehlt ein weitergehendes Konzept.
Der Mietvertrag läuft aus, das Zimmer muss geräumt werden, doch wohin? Wieder zurück auf die Straße? 65 obdachlose Menschen standen vor genau dieser Situation. Sie hatten seit Mai dieses Jahres, als es durch die Corona-Pandemie schlicht zu gefährlich war, auf der Straße zu leben, eine Unterkunft in der Jugendherberge Hannover gefunden. Betreut von der Caritas und der Diakonie waren zwischenzeitlich über 100 von ihnen dort untergebracht.
Statt Ladeneingang, Busch oder Massenunterkunft mit Betten in 50 Zentimeter Abstand nun ein Einzelzimmer. Mit Dusche. Eine Tür, die abgeschlossen werden kann. Keine ständige Angst um die letzten Habseligkeiten, keine Angst vor berfällen.
Ruhe, Zeit und Betreuung: Diese Wochen waren für viele sehr positiv, betont Ramona Pold. Die Sozialarbeiterin des Caritasverbandes koordiniert das Projekt. Wunden konnten ausheilen, Erkältungen auskuriert werden, der Konsum von Alkohol hat abgenommen, berichtet sie weiter. Kurz: Die Menschen entwickeln erst Vertrauen und dann Zuversicht.
Die Mitarbeitenden haben einen Zugang zu den Menschen gefunden, einige konnten ins Hilfesystem, wie das ambulant begleitete Wohnen oder die Krankenwohnungen der Diakonie und Caritas vermittelt werden, ergänzt Diakonie-Kollegin Ursula Büchsenschütz. Andere fanden eine Wohngemeinschaft oder eine andere Bliebe, zwölf von ihnen Arbeit. Ohne den, wie Ramona Pold es beschreibt, Urlaub von der Straße wäre das niemals gelungen.
Erfolgsgeschichte auf der Kippe?
Doch stand diese Erfolgsgeschichte auf der Kippe: Die Unterkunft in der Jugendherberge war schon einmal verlängert worden. Mit Appellen haben sich Caritas und Diakonie an die Stadt Hannover gewendet mit der dringenden Bitte eine neue Unterkunft für die Wohnungslosen zu finden. Die beiden Wohlfahrtsverbände hatten unter dem Titel Zwischeraum bereits vor Wochen ein entsprechendes Konzept zum Fortführen der Arbeit vorlegt. Die Stadt und die Region Hannover sowie das Land Niedersachsen und Region hatten die befristete Unterbringung in der Jugendherberge finanziert. Vom Land und der Region kamen deutliche Signale, dass sie weiter Geld geben. Was fehlte: eine geeignete Immobilie für die gesicherte Unterkunft.
In buchstäblich letzter Minute, einen Tag vor Auslaufen des Mietvertrages konnten Stadt und Region eine Lösung präsentieren. Ein Hotel und ein Gästehaus wurden angemietet. Die 65 ehemals Wohnungslosen konnten umziehen. Sie werden weiter von der Caritas und der Diakonie betreut.
Wir sind sehr froh über die aktuelle Entwicklung, sagt Andreas Schubert, Vorstand des Caritasverbandes Hannover. Es sei notwendig, die Menschen in der Corona-Krise gut und geschützt unterzubringen. Es ist aber ebenso wichtig, Ihnen mit Beratung und Begleitung zur Seite zu stehen, das zeigen die Erfahrungen der letzten Wochen, unterstreicht Schubert.
Mit den beiden von der Stadt und der Region zur Verfügung gestellten Immobilien sei eine wichtige Etappe erreicht. Schubert: Wir freuen uns, dass wir die Zusammenarbeit mit der Diakonie fortsetzen können.
Nach Darstellung von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay arbeiten Stadt und Region an einem Konzept für ein Modellprojekt. Dabei wird auf der aus der Corona-Not geborenen Betreuung zurückgegriffen: mit einer Kombination von Unterbringung und sozialpädagogischer Begleitung und Hilfe, verbunden mit einer Orientierungs- und Klärungsphase. So sollen mit den Betroffenen Perspektiven für eine berwindung der Wohnungslosigkeit entwickelt und in die Umsetzung gebracht werden, ließ Onay erklären.
Nicht nur die Caritas und die Diakonie werden dieses Vorhaben genau beobachten. Auch der Anfang des Jahres gegründete Verein Stimme der UngeHRTen, kurz StiDU, der eine Ombudsstelle für Obdachlose aufbaut. Solche Hau-Ruck-Lösungen in den Abendstunden sind kein Beleg für ordentliches Verwaltungshandeln, empört sich StiDU-Vorsitzender Reinhold Fahlbusch. Das Problem sei keinesfalls gelöst: Es gibt ein Recht der Betroffenen auf eine angemessene, menschenwürdige Unterbringung.
Denn auch die beiden neuen Immobilien seien nur auf drei Monate gemietet. Dieses ist eine Galgenfrist, innerhalb derer die Verwaltung unter Bereinigung der internen Schwierigkeiten eine endgültige Lösung festzurren muss, empört sich Fahlbusch. Das Mietende komme Mitte Oktober schneller als gedacht, so wie das Auslaufen des Vertrags mit der Jugendherberge: Der gleiche Fehler darf nicht zweimal gemacht werden, fordert Fahlbusch.
Außerdem sei offen, wie auf der Grundlage geltenden Rechts durch Gesetze, Verordnungen und Rechtsprechung die Standards der Unterbringung in Hannover eingehalten (beschrieben) werden, ergänzt die Vize-Vorsitzende von StiDU, Andrea Weinhold-Klotzbach. Denn wer unfreiwillig obdachlos ist und das haben die Wohnungslosen durch den Einzug in die Jugendherberge deutlich gemacht hat jahreszeitlich unabhängig Anspruch auf ganztägigen Aufenthalt: Also nicht nur in den kalten Monaten, nicht nur für die Nacht und dann wieder raus, erläutert die Juristin. Die Standards der Unterbringung seien aber eine Sache der Politik.
Hier macht sich StiDU für eine angemessene Einzelunterbringung stark. Das schütze die Gesundheit und die Privatsphäre der von Obdachlosigkeit Betroffenen. Zudem werden weitere Perspektiven möglich. Das hat die Hilfe von Caritas und Diakonie in der Jugendherberge mehr als deutlich gemacht.
Rüdiger Wala