Noch habe ich das Patentrezept nicht gefunden

1865 wurde in Hannover die erste Kolpingsfamilie an der Basilika St. Clemens gegründet. Anlässlich des 150- jährigen Jubiläums, das dieses Wochenende von den derzeit 15 Kolpingsfamilien dort feierlich begangen werden wird, erklärt ihr Diözesanvorsitzender Andreas Bulitta, wie es um den Verband steht und warum die Rückbesinnung auf Gründer Adolf Kolping gerade jetzt wichtig ist.

Lieber Herr Bulitta, die Kolpingsfamilien in Hannover feiern ihr 150- jähriges Jubiläum. Wird man in 150 Jahren immer noch ein Jubiläum von Kolping in Hannover feiern können?

 

Bulitta: Wir stehen als Kolpingsfamilien vor großen Herausforderungen, da wir derzeit mit zwei Trends zu kämpfen haben, die sich abzeichnen: Erstens gehen uns bistumsweit pro Jahr zwei Prozent unserer Mitglieder verloren und einige unserer Familien sind mit einem Altersdurchschnitt von älter als 50 Jahren überaltert. Und zweitens wird es immer schwieriger, aus dem verbliebenen Stamm Mandatsträger und Menschen zu finden, die Verantwortung ehrenamtlich übernehmen wollen. Es ist unklar, wie wir diesen Trend umkehren können. Es gibt zwar interessante Beispiele aus dem Bistum Osnabrück und Regensburg, wo die Mitgliederzahlen wieder steigen. Aber dies geschieht oft in Abhängigkeit mit Faktoren, die in unserem Bistum nicht gegeben sind. Wir versuchen aktuell über Mentoring und Schulung der Vorstände der Kolpingsfamilien die Mandate und Verbandsstrukturen für Interessierte verständlicher zu machen. Aber ich glaube schon, dass es in 150 Jahren wieder ein Jubiläum in Hannover geben wird. Die Frage ist nur, mit wie vielen Mitgliedern und Familien. Ich gehe da von einem Zurückschrumpfen der Zahlen aus.

 

Hängen diese Trends nicht auch mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Phänomen zusammen, dass die Menschen sich den Kirchen und Verbandsstrukturen nicht mehr verbunden fühlen?

 

Bulitta: Ich bin nicht davon überzeugt, dass das wirklich die Gründe sind. Kolping ist ein generationenübergreifender Verband, dessen Kernaufgabe es ist, Menschen zum Christsein in der Welt zu befähigen. Unsere Familien sind die kleinste organische Einheit dieses Verbandes. Wir stehen füreinander ein, wir fühlen uns besonders verbunden und teilen Freud und Leid miteinander. Viele unserer Kolpingsfamilien sind Gruppen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg beim gemeinsamen Aufbau von Kirchen gefunden haben. Diese Gruppen sind jetzt miteinander alt geworden. Ich will damit nicht sagen, dass es abgeschottete Gruppen sind, aber es sind Menschen, die sich in dieser Zeit als Gruppe mit einem ähnlichen Hintergrund und Interessen gefunden haben. Und was die Rekrutierung neuer Mitglieder betrifft: Ich könnte jetzt die obligatorische Schimpfe auf die neuen Medien und die Mobilität der Menschen anführen, aber als Kolpingfamilie müssen wir uns meiner Meinung nach auf unsere Kernaufgabe besinnen und auf Adolf Kolping. Er selbst stand als Mensch den Neuerungen seiner Zeit sehr positiv gegenüber und hat diese für sich genutzt. Ich denke da an Zeitungen, Vorläufer von Kranken- und Sparkassen. Noch habe ich das Patentrezept nicht gefunden.

 

Welche Bedeutung haben die Kolpingsfamilie noch heute?

 

Bulitta: Die Kolpingsfamilien sind die Schnittstelle der Kirche zu Politik und Gesellschaft. Sie nehmen das Heft des Handelns an vielen Kirchorten in die Hand und packen tatkräftig mit an. Gerade in Hannover, wo jetzt das Jubiläum ansteht, ist es in der Diaspora besonders wichtig, die Werte Adolf Kolpings hochzuhalten und sich für die Bildung und sichere Unterkunft der Armen einzusetzen. So organisieren dort die Kolpingsfamilien vor Wahlen Diskussionsrunden mit Politikern, es gibt zahlreiche Vorträge und besondere Gottesdienste und eine internationale Partnerschaft mit Brasilien, in dessen Rahmen die Projektarbeit vor Ort mit Altkleidersammlungen durch die Kolpingsfamilien finanziert wird. Und nicht zu vergessen das Kolpinghaus, das in Hannover tatsächlich immer noch seiner ursprünglichen Aufgabe nachgeht, Männer in schwierigen Lebenssituationen Obdach zu gewähren. Es ist dieses Gedankengut, das die Kolpingsfamilien auch durch schwierige Zeiten wie den Nationalsozialismus getragen hat. Und es gibt immer noch Kolpingsfamilien in unserem Bistum, die nicht überaltert sind. Rund 15 Prozent unserer Mitglieder sind unter 30 Jahren alt. Deswegen blicke ich positiv in die Zukunft.

 

Feierlichkeiten am Wochenende

 

Am Samstag, den 17. Oktober 2015, feiern die Kolpingsfamilien in Hannover ihr 150- jähriges Jubiläum mit einem Festakt und einem Gottesdienst in der Basilika St. Clemens (Goethestraße 33). Um 14:30 Uhr beginnt der Festakt, bei dem unter anderem der Oberbürgermeister der Stadt Hannover, Stefan Schostok, und der Bundessekretär von Kolping, Ullrich Vollmer, Grußworte sprechen werden. Im Anschluss an den Festakt gibt es im Tagungshaus St. Clemens direkt neben der Kirche die Gelegenheit, zusammen zu kommen und Kontakte zu knüpfen. Um 18 Uhr geht der Tag dann mit einem Festgottesdienst mit Propst Martin Tenge und Pfarrer Christoph Paschek als Bezirkpräses der Kolpingfamilien zu Ende. Zu allen Veranstaltungsteilen des Jubiläums sind Gäste herzlich eingeladen.

 

 

Zur Person:

Andreas Bulitta (49) ist gebürtiger Hannoveraner und seit 1993 Mitglied bei Kolping. Fast genauso lange engagiert sich der Ingenieur und Telekom- Mitarbeiter auch ehrenamtlich für seine Kolpingsfamilie in Hannover- Ricklingen. 2008 wurde Bulitta zum Diözesanvorsitzenden der Kolpingsfamilien im Bistum Hildesheim gewählt und leitet seitdem das Unternehmen Kolpingswerk auf Bistumsebene mit rund zwei Millionen Jahresumsatz, 8500 Mitgliedern und 50 festangestellten Mitarbeitern. Ohne die Unterstützung meiner Familie und auch der Großeltern wäre mein Engagement nicht möglich, sagt Bulitta, der beruflich viel unterwegs ist.

Marie Kleine