Sprengmeister und Katholik
Sprengmeister wie Marcus Rausch riskieren bei jedem Einsatz ihr Leben. Sie beseitigen Munition und Blindgänger aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. ber seine Arbeit berichtet er bei einem Vortrag im ka:punkt.
Sieben Jahre ist es her, dass Marcus Rausch sich in einer ruhigen Minute an seinen Schreibtisch in Hannover setzte. Der Sprengmeister nahm Stift und Papier zur Hand. Gib uns immer eine ruhige Hand und dazu einen wachen Verstand, schrieb er nieder. Ein Gebet an die Heilige Barbara, Schutzpatronin der Feuerwerker. Drei Kollegen hatte der ehemalige Messdiener und jetzige Bombenentschärfer gerade durch eine Explosion verloren, als er diese Zeilen dichtete. Zwei weitere Kollegen lagen schwer verletzt im Krankenhaus.
Die Männer vom Kampfmittelbeseitigungsdienst Niedersachsen wollten in Göttingen einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entschärfen. Die Bombe ging hoch, als Sprengmeister und Mitarbeiter zur Lagebesprechung rund um den Blindgänger versammelt standen. Der Langzeitzünder in der Bombe war vermutlich durch eine minimale Erschütterung aktiviert worden. Nur eine dünne Zelluloidscheibe, die durch Aceton aufgelöst wird und so den Zünder auslöst, hatte die Männer bis dahin vom Tod getrennt. Die Kollegen hatten keine Chance, sagt Rausch. Das war für uns alle ein einschneidendes Erlebnis. Fast vierzig Jahre lang hatte es zuvor in Niedersachsen keine tödlichen Unfälle mehr gegeben.
Vorm Einsatz ein Gebet gen Himmel
Mein Beruf kann sehr schnell sehr final sein. Ich gehe aber immer davon aus, dass ich abends wieder nach Hause komme, sagt der Vater von zwei Söhnen mit fester Stimme. Die beiden lächeln ihm auf mehreren Fotografien auf seinem Schreibtisch entgegen. Wenn der 42- Jährige morgens das Haus verlässt, gibt es kein besonderes Ritual. Ein Testament hat Rausch nicht verfasst. Er ist Optimist. Vielleicht bin ich aber auch nur ein fauler Hund und habe mit Bürokratie nichts am Hut, sagt Rausch und lacht. Vor jedem Einsatz schickt er ein kleines Gebet gen Himmel. Lass uns heute hier gut gemeinsam reingehen. Und lass uns heute hier auch wieder gut gemeinsam rausgehen, denkt er dann. Wird er gefragt, ob das denn was nütze, fragt er: Hat es schon mal geschadet?
Rausch ist ein unkomplizierter Chaot. Bei seinen Kollegen ist er für seine Leidenschaftlichkeit bekannt. In seinem Büro und zuhause stehen alte Stand- und Kaminuhren. Die strahlen Ruhe aus, sagt er. Ein Gegenpol zu seinem Naturell: Ich bin ja lieber jemand, der nicht lange wartet, sondern handelt, sagt Rausch. Eine Eigenschaft, die ihm als Sprengmeister zugutekommt. Denn meist muss er schnell sein: Alte Zündsysteme von Bomben werden durch Rost in kürzester Zeit sehr schwer zu entschärfen. Der Rost entsteht, wenn Bomben nach Jahrzehnten in der Erde oder im Wasser plötzlich mit Sauerstoff in Berührung kommen. Hochkonzentriert und absolut gegenwärtig muss Rausch dann sein. Eine Entschärfung ist Teamarbeit. Es gehört Vertrauen in sich selbst und in die anderen dazu, sagt er. Ich treffe da vorne dann Entscheidungen nicht nur für mich, sondern auch für das gesamte Umfeld. In seinem Kopf läuft die Was-passiert-dann-Maschine, wie Rausch sie nennt.
Bauchgefühl und Entscheidung müssen passen
Er weiß, worauf er sich mit seinem Job eingelassen hat. Echte, panische Angst dürfe man dabei nicht haben. Ja, man hat manchmal ein mulmiges Gefühl. Aber davon darf man sich nicht beherrschen lassen, sagt er. Respekt ist wichtig. Und wenn mein Bauchgefühl nicht zu einer Entscheidung passt, lasse ich es.
Zehn Jahre macht der ehemalige Bundeswehroffizier den Job schon. Der Sprengmeister entschärft und beseitigt Munition aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg: Patronen, Handgranaten, Raketen, Flak-Munition zur Flugabwehr und große Blindgänger ihm ist schon vieles untergekommen. Rausch ist mittelgroß, trägt Bart und hat auffallend kräftige Arme. Er und seine Kollegen tragen eine blaue Uniform, ähnlich der Feuerwehr. Schutzkleidung tragen die Sprengmeister nicht. Bei den großen Blindgänger ist es im Fall einer Explosion irrelevant, ob man Schutzkleidung trägt oder nicht, erklärt der gläubige Katholik. Kleinere Sprengsätze werden nicht vor Ort entschärft, sondern je nach Zustand entweder abtransportiert oder vor Ort gesprengt. Gerade die kleine Munition wird in ihrer Wirksamkeit von der Bevölkerung unheimlich unterschätzt, kritisiert er. Die Verlockung sei bei manchen groß, sie ins Feuer zu werfen oder mal auseinanderzubauen. Selbst in einem Raum von 20 Quadratmeter reicht eine Zweizentimeter-Flakgranate, so groß wie ein Lippenstift, dicke aus, um zwei Menschen zu töten, warnt Rausch.
Als seine Kollegen in Göttingen aus dem Leben gerissen wurden, war Rausch gerade in seinen ersten Urlaubstag gestartet. Am nächsten Morgen meldete er sich gleich zurück zum Dienst. Er hadert nicht mit Gott wegen des Unglücks, sondern hat Gottvertrauen. Sein Gebet an die Schutzpatronin der Sprengmeister lässt Rausch enden mit:Und gehen wir vielleicht doch allen anderen voraus, und kehren nicht zu unseren Lieben nach Haus, dann bist du ein Licht in dunkler Nacht. Du gibst ihnen Trost und gibst auf sie Acht. Für jetzt und immer da, gelobt seist du heilige Barbara.
ber seine Arbeit als Sprengmeister informiert Marcus Rausch am Mittwoch, 24. Mai, um 18:30 Uhr im ka:punkt (Grupenstraße 8, Hannover).
Marie Kleine