Über die Frohe Botschaft im Tabor
Ein etwas anderes Buch von Sr. Birgit Stollhoff über kirchliche Jugendarbeit
"Auf der Slackline" – Balancieren über ein Gurtband. Für Sr. Birgit Stollhoff ist der Trendsport wie ein Sinnbild für ihre Arbeit im Jugendpastoralen Zentrum Tabor in Hannover. Darüber hat sie jetzt ein Buch geschrieben: mit Geschichten und persönlichen Einblicken.
Warum ein Buch über kirchliche Jugendarbeit?
Der Anstoß kam vom Lektor des Echter-Verlags. Dem habe ich sehr begeistert von meiner Arbeit erzählt. Seine Idee war mal ein Buch zu schreiben, das positiv ist, das Mut macht. Anders gesagt: Über Herausforderungen zu schreiben, über Aufbrüche, die man sich zutrauen kann. Das fand ich einen guten Ansatz. Und zwar nicht, weil es genug kritische Bücher über die Kirche gibt. Diese Bücher sind notwendig. Sondern weil ich glaube, es gibt eine frohe Botschaft, die wir auch verkündigen können. Denn diese frohe Botschaft erlebe ich bei meiner Arbeit im Tabor.
Das Buch lebt ja von persönlichen Geschichten, die du im Tabor erlebt hast.
Ja, das war am Anfang die größte Herausforderung für mich, weil ich nicht wusste, ob ich so ein Buch schreiben kann. Ich habe gemerkt, ein Lehrbuch über Pädagogik kann ich nicht schreiben. Dazu bin ich nicht genug Pädagogin. Aber ich kann über Erfahrungen berichten. Das führte zur Frage: Wie kommt es bei den Jugendlichen an? Benutze sie sogar? Es gibt in der Jugendarbeit immer die Versuchung, dass wir Jugendlichen nicht um ihrer selbst helfen, sondern nur sie bei unseren schönen liturgischen Festen dabeihaben wollen. Aber die Frage, was sie vom einer Idee halten, stellen wir nicht.
Was haben denn die Jugendliche im Tabor von der Idee gehalten?
Die fanden das gut, das war kein Problem. Zum kleinen Teil sind die Geschichten anonymisiert. Aber in jedem Fall haben die Jugendlichen ihre Geschichten vorher gelesen und ihr Okay gegeben. Ihre Anmerkungen oder das Reflektieren ihrer Geschichten hat mich in Nachdenken gebracht: Was waren so die Stolpersteine, an denen ich von den Jugendlichen gelernt habe? Das ist der Hauptstrang des Buches.
Das Buch ist ja sehr persönlich, es geht um eigene Unsicherheiten. War es schwer, darüber zu schreiben? Oder war das befreiend?
Es gibt ja einen Unterschied zwischen persönlich und privat. Ich hatte mir überlegt, was will ich auch in 20 Jahren noch über mich lesen? Was wollen Angehörige über mich lesen? Ich fand es nicht schwierig, ein Buch zu schreiben, in dem ich persönliche Unsicherheiten schildere. Privat, aus dem eigenen Leben jenseits des Tabor, wird es nur ganz am Ende des Buches. Was mich natürlich erschreckt, sind Rückmeldungen, wenn mir junge Kolleginnen in der Pastoral sagen: Du als erfahrene Ordensschwester kannst darüber schreiben, dass du unsicher bist, aber wir können das nicht. Wir müssen das irgendwie hinkriegen. Aber ‚irgendwie hinkriegen‘ bedeutet ja, dass es in kirchlichen Projekten zu wenig Raum zu Scheitern gibt.
Scheitern ist doch schlimm, oder?
Nein. Ich habe meine Masterarbeit über Scheitern geschrieben. In diese Arbeit führe ich aus, dass Scheitern auch eine wundervolle Erfahrung ist. Denn beim Scheitern mache ich einen Schritt über die Grenze des Bekannten und merke, was funktioniert und was nicht. Ich muss mir neue Perspektiven suchen. Meine größten Lernerfolge im Tabor waren, wenn ich gemerkt habe meine Idee funktioniert mit Jugendlichen nicht. Also muss ich sie fragen, was interessiert sie eigentlich.
Klingt nach einer Selbstverständlichkeit …
Das ist es aber nicht. Ich erlebe, wie wir als Kirche große Veranstaltungen machen mit viel Aufwand und dann während der Veranstaltungen oder am Schluss feststellen: Das funktioniert nicht. Und dann, was noch schlimmer ist, reden wir unser Scheitern schön. Wir wählen eine Kameraeinstellung, bei der es so aussieht, dass viele Leute da waren. Gerade in der Kirche könnten wir in einer größeren Freiheit mit Scheitern umgehen.
Die beste Maßnahme gegen Scheitern ist demnach vorher zu fragen?
Die erste Frage ist immer: Für wen machen wir das? Jugendarbeit besteht für mich immer zu unterscheiden: Will ich das? Weil‘s toll klingt? Oder wollen es tatsächlich die Jugendlichen? Das ist doch eine rage, die wir uns im Bistum, als Kirche von Hildesheim, stellen müssen: Machen wir es, weil wir glauben, dass die Leute es wirklich brauchen? Treffen wir damit einen Nerv der Zeit? Wir denken immer noch zu sehr von der Institution her. Wir denken zu wenig inhaltlich und noch viel weniger von der Zielgruppe.
Spielt da eine Rolle, dass Jugendarbeit meistens nur auf dem Papier einen hohen Stellenwert hat?
Das hat etwas mit dem Denken von der Institution und mit Wertigkeiten zu tun. Wenn wir im Tabor mit Jugendlichen zusammen sind und sprichwörtlich über Gott und die Welt reden, hat das etwas mit uns als Kirche zu tun. Im Café bin ich nicht weniger Kirche, als wenn ich viele gottesdienstliche Veranstaltungen mache. Der Denkfehler liegt darin, dass wir unsere Grundvollzüge nicht mehr zusammen sehen, sondern sie teilweise ausgelagert haben: Die Nächstenliebe geht an die Caritas, Verkündigung an die Bildungsarbeit, Gemeinschaft gibt es irgendwie und als Kirche gilt nur noch Liturgie. Das habe ich bei meinem Ordenspraktikum im Schweden ganz anders erlebt.
Welche Erfahrungen hast du da gemacht?
Da gehörten sozialen Aktionen, die Obdachlosen, die Besuche bei den Prostituierten und auch die Jugendarbeit ganz selbstverständlich zur Gemeinde. Wie die Besuche bei den älteren Leuten. Es war klar, es ist alles Kirche. Bei uns habe ich das Gefühl, wenn wir nicht unmittelbar über Gott reden, wenn es am Schluss irgendeiner Feier nicht noch einen Segen und ein Amen gibt, ist es nicht Kirche. Das ist Quatsch. Im Tabor bieten wir Jugendlichen als Kirche einen geborgenen Raum, in dem sie mit ihren Fragen oder Sorgen kommen können. Ein Ort, den sie nicht anderswo haben können. Das ist Kirche, da sind wir als Team im Tabor Kirche. Und zwar ganz nah bei Freude und Hoffnung, Trauer und Leid der Jugendlichen von heute.
- Sr. Birgit Stollhof (Congregatio Jesu) ist seit Februar 2019 Leiterin des Jugendpastoralen Zentrums Tabor in Sichtweite des Neuen Rathauses (Hildesheimer Straße 32, 30159 Hannover). Das Café Tabor wieder von montags bis donnerstags in der Zeit von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Freitags nur, wenn Veranstaltungen laufen. Das Hausaufgabenprojekt lern.bar wird von montags bis donnerstags in der Zeit von 15 bis 17 Uhr angeboten und ist kostenlos. Dazu: Konzerte und Spieleabende.
Das Interview führte Rüdiger Wala