Was gibt mir Halt?

Kommen Menschen mit einer ernsthaften Erkrankung ins Krankenhaus, beginnt für manche eine Auseinandersetzung mit den Grenzen des eigenen Lebens. Bettina Thon und Andreas Vietgen sind Klinikseelsorger an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Sie stehen Patienten, Angehörigen und Klinikpersonal in dieser schweren Zeit zur Seite.

Was sind Ihre wesentlichen Aufgaben als Klinikseelsorger?

Thon: Zu unseren Aufgaben gehören neben den Patientenbesuchen auch die Begleitung von Angehörigen. Darüber hinaus sind wir auch für die Fragen und Nöte der Mitarbeitenden da. Wir haben dabei aber stets nicht nur den Einzelnen im Blick, sondern versuchen, den Menschen als Ganzes zu sehen in seinen Beziehungen, mit dem was Sorge bereitet, aber auch mit dem, was ihm Halt gibt.

Große Bedeutung hat für uns wie auch für die PatientInnen der Andachtsraum. Er ist innerhalb des Krankenhausalltags ein ganz besonderer Ort. Hier können Menschen zur Ruhe kommen, ins Zwiegespräch treten oder auch Kraft aus der Teilnahme an einem der Gottesdienste schöpfen.

Vietgen: Nach den Konzerten oder Lesungen, die wir im Rahmen des Kulturprogramms im Andachtsraum anbieten, ist eine der häufigsten Rückmeldungen, dass Patienten für eine Stunde einmal vergessen konnten, dass sie Patient sind. Schon die im Krankenhaus übliche Reduktion auf die Erkrankung ist etwas, das Kraft kostet. Zudem bieten diese Veranstaltungen die Möglichkeit, niedrigschwellig Kontakt zu uns aufzunehmen.

 

Welcher Patientenkreis nimmt überwiegend Ihre Dienste in Anspruch?

 

Vietgen: Es ist schwer, das zu charakterisieren. Denn letztlich haben wir es mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Kreisen zu tun. Es sind bei weitem nicht nur kirchlich geprägte Menschen, die nach uns fragen. Oft kommt die Idee zu einem Kontakt ja auch nicht vom Patienten selbst, sondern ist durch eine Krankenschwester oder eine Ärztin angeregt.

Viele Menschen, die uns in Anspruch nehmen, sind sterbenskrank oder befinden sich direkt im Sterben. Dabei sind es vor allem die Angehörigen, die in dieser schwierigen Situation Begleitung brauchen. Es gibt auch sehr viele Patienten, die das Haus wieder gesund und mit einer guten Perspektive verlassen. Dabei denke ich beispielsweise an Patienten, die mit viel Hoffnung auf eine Organspende in unser Haus kommen. Es ist immer wieder schön, im Nachhinein einen früheren Patienten wiederzutreffen, dem es gut geht, und der eine neue Chance hat.

 

Was fordert Sie in Ihrem Beruf besonders heraus?

 

Thon: Für Patienten geht die Krankheit oft mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht einher. Das ist sowohl für den Patienten als auch für die Angehörigen eine Grenzerfahrung. Menschen in solch dichten und auch intimen Momenten zu begleiten, ist für mich eine Herausforderung.

 

Vietgen: Die größte Herausforderung für mich ist, dass wir in Situationen hineingerufen werden, von denen wir vorher nicht wissen, wer und was uns letztendlich hinter der Tür erwarten. Wenn eine Krankenschwester oder ein Arzt fragen, ob wir einen Patienten besuchen können, dann informieren sie uns oft über die Krankengeschichte. Wir wissen aber nicht, wie es dem Menschen gerade jetzt und persönlich wirklich geht, von medizinischen Daten einmal abgesehen. In manchen Fällen haben die Patienten ein ganz anderes Anliegen an uns, als die Krankenschwester möglicherweise annimmt. Im Gespräch stehen nicht immer medizinische Fragen im Vordergrund. Durch eine Krise bekommen oft andere Lebensthemen eine Aktualität. Der Patient hat nun Zeit nachzudenken. Gedanken, die er sonst erfolgreich beiseite drängen konnte, kommen hoch. Für viele Menschen ist dann das Gespräch mit einem Außenstehenden gut. Außerdem sind nach wie vor Sterbesituationen eine Herausforderung für mich. Das ist eine sehr konzentrierte und eine höchst intime Phase im Leben eines Menschen.

 

Welche Rolle spielt der christliche Glaube bei Ihrer Arbeit?

 

Thon:  Die Menschen in ihrem konkreten Sein anzunehmen und ihnen offen zu begegnen, ist für mich eine Haltung, die sich aus dem christlichen Glaubensverständnis ergibt. Bei den Patienten, bei denen ich bisher war, spielte der christliche Glaube schon eine Rolle. Bei manchen Patienten wurde das im Schweigen konkret, bei anderen im gemeinsamen Gebet.

Vietgen: In den Gesprächen geht es meist nur indirekt um den Glauben.  Aber oft geht es zwischen den Zeilen um das Verständnis vom eigenen Leben. Es geht um die Fragen: Was trägt mich? Was gibt mir Halt? Was stützt mich? Wo kriege ich Kraft her? Dabei geht es für mich eigentlich auch immer um die Frage nach Gott. Auch wenn das der Patient für sich vielleicht ganz anders formulieren würde. Mir passiert es oft, dass ich zu Patienten gehe, die sich als Erstes dafür entschuldigen, dass Sie schon lange nicht mehr in der Kirche waren. Viele sind nicht die klassischen sonntäglichen Kirchgänger. Aber ihre Fragen sind die gleichen, auch sie suchen nach Unterstützung. Für den Patienten ist wichtig, dass er nicht alleine nach Antworten suchen muss.

Martina Stabenow