„Was wären wir ohne unsere Erinnerungen?“
Ökumenische Andacht „Unvergessen 2023“: Kirchen, Diakonie und Caritas gedenken verstorbenen Wohnungslosen
„Unvergessen“– unter diesem Leitwort haben nun zum dritten Mal die christlichen Kirchen zusammen mit der Diakonie und der Caritas Verstorbenen der Wohnungshilfe und anonym Bestatteten gedacht.
Es sind Zeilen mit Symbolcharakter, die der Wohnungslosenchor vor dem Kontaktladen Mecki des Diakonischen Werkes singt: „Komm und gib mir deine Hand, | Ich führe dich durch uns’re Straßen, | ich zeig’ dir Menschen, | die wirklich einsam sind.“ Einsamkeit ist der Leitgedanke der Andacht „Unvergessen“, die das Diakonische Werk und die Caritas zusammen mit dem Evangelisch-lutherischen Stadtkirchenverband und der Katholischen Kirche in der Region Hannover feiern. Draußen, vor dem Laden, in der Kälte eines Freitags im November – begleitet vom Gesang des Wohnungslosenchores.
„Unser Leben ist bedroht und häufig einsam – so sterben auch nicht wenige in Hannover“, sagt Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp: Erst am Abend zuvor sei ein Mann gestorben, der im Mecki gut bekannt war, nur wenige Meter vom Laden entfernt. „Jahr für Jahr werden um die 350 Menschen in Hannover anonym bestattet“, betont Feldkamp: „Ohne Begleitung, weil niemand da war.“
„Was wären wir ohne unsere Erinnerungen?“, fragt Wolfgang Semmet, Pfarrer der katholischen Innenstadtgemeinden St. Godehard und St. Heinrich: „Heute erinnern wir an Menschen, die im Schatten leben und wollen sie aus dieser Dunkelheit herausholen.“ Solche Zeichen der Erinnerungen seien wichtig, unterstreicht Semmet, der auch kommissarischer Regionaldechant der Katholischen Kirche in der Region Hannover ist: „Für mich ist es das schönste Bild unseres Glaubens, dass alle unsere Namen in Gottes Hand eingeschrieben sind.“ Das gelte für die 44 Namen von obdachlosen Menschen, die im letzten Jahr verstorben sind: „Wir lassen ihre Namen aufleuchten, holen sie aus dem Schatten – selbst wenn es nur für einen Moment ist.“ Damit verbunden ist für Semmet nicht nur die so wichtige Erinnerung, sondern eine Bitte an Gott: „Heile ihre Wunden und vollende ihr Leben bei dir.“
So werden für jeden Namen Lichter entzündet und auf ein aus Tüchern gelegtes Kreuz gestellt. Weitere Kerzen kommen von Mitbetenden der Andacht hinzu – für Menschen, die sie nicht vergessen wollen. Dann nimmt der Wohnungslosenchor, in dem (ehemals) wohnungslose oder von Armut betroffene Menschen singen, die Zuhörenden mit auf den Weg durch die Straßen der Stadt. Zu den Menschen, die wirklich einsam sind. Zum alten Mann mit den ausgetretenen Schuhen, zur alten Frau mit den welken Blumen in der Hand, wie es im Lied heißt. Und zu allen anderen, die unvergessen bleiben sollen.
Rüdiger Wala