Wenn der Saal zum Schulraum wird
Zusammenarbeit von St. Joseph und der katholischen Bonifatiusschule in Hannover
„LernRaum“ in den Herbstferien: Ein gemeinsames Projekt der Gemeinde St. Joseph in Hannover und der katholischen Bonifatiusschule – mit Deutsch, Mathe und jeder Menge Apfel und Pfefferminz als Tee.
Der große Saal im Forum St. Joseph, dem Veranstaltungszentrum der gleichnamigen Gemeinde in Hannover-List: 15 Grundschüler*innen sitzen beisammen. Jahrgangsweise sortiert an vier Tischen, mit dem notwendigen Abstand. Und es ist leise. Konzentriert. Bleistifte kratzen über das Papier, die Köpfe sind über die Arbeitshefte gebeugt. Tief, sehr tief …
Es sind nicht leichte Aufgaben zu bewältigen. Zum Beispiel: 96 minus 68. Schnell im Kopf ausrechnen, um die Mathespirale zu Ende zu führen. Oder Sachaufgaben, die sich generationenübergreifend einer besonderen Beliebtheit in der Schule erfreuen: „Es sind zwei mal fünf Spieler auf dem Spielfeld“, steht auf dem Blatt Papier. Bitte in eine Frage umsetzen, die Rechnung in Ziffern ausstellen und in einem ganzen Satz beantworten.
Stichwort Spielfeld, diesmal für Deutsch: Was ist denn der Unterschied zwischen faul und Foul? Klingt doch gleich. Zumindest ähnlich klingen auch Hilda und Helga. Sie sehen auch gleich aus. Zwillinge. Zaster mit Nachnamen und Geldfälscherinnen. Aber wer ist wer? Dazu muss ein Text sorgsam gelesen werden.
Das alles – und vieles mehr – machen die Kinder eine Woche in den Herbstferien. Freiwillig. Und mit viel ehrenamtlicher Unterstützung. Zusammen mit Brunhilde Koopmann und Heike Okonek hat Thea Heusler das Projekt in St. Joseph angestoßen. Viele Jahre hat sie sich bei der Caritas Hannover hauptberuflich um die Bildungschancen von Kindern gekümmert. Jetzt im Ehrenamt: „LernRäume geht auf eine Initiative der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände zurück.“ Das Projekt wird vom Land Niedersachsen und der neuen Initiative „Niedersachsen hält zusammen“ unterstützt. Im Fall von St. Joseph engagiert sich auch der Förderverein der Gemeinde.
Lernstoff aufholen oder nochmal üben
Die Idee: Während der Ferienzeiten in Gemeinderäumen Bildungsangebote für Kinder machen, damit sie Lernstoff aufholen oder nochmal üben können. Denn schließlich musste in den Schulen im Frühjahr und Sommer lange auf Unterricht in den Schulen verzichtet werden: „Längst nicht alle Kinder hatten zu Hause gute Lernbedingungen“, sagt Thea Heusler.
Raum hat St. Joseph, für das Lernen sorgt zum einen die Kooperation mit der Bonifatiusschule. Für jedes Kind haben die Lehrerinnen der Schule einen individuellen Plan mitgegeben. Zum anderen steckt viel ehrenamtliche Kraft im Projekt: Schülerinnen der zur Caritas gehörenden Elisabeth-von-Rantzau-Schule in Hildesheim beispielsweise, an der Erzieher*innen und Sozialassistent*innen ausgebildet werden. Ebenfalls mit dabei: Studentinnen der Uni Hannover, zwei Frauen, die Erfahrungen in der Hausaufgabenbetreuung in der Grundschule haben und Gillian, die selbst noch Schülerin ist – in der Oberstufe des katholischen Gymnasiums St. Ursula. Rechnerisch kommt so eine Hilfe auf 1,5 Schüler*innen.
„Täglich kommt auch eine Lehrkraft vorbei, um zu gucken, wie’s läuft“, berichtet Heusler. Heute ist es Felizitas Teske, die Rektorin, die übrigen auch etwas Nervennahrung für ihre Schüler*innen mitgebracht hat: „Das ist ein tolles Projekt, das die Eltern als wirkliche Bereicherung erleben.“
„Nett“. Pause. „Sehr, sehr nett“. Mehr Lob geht nicht
Und die Kinder? Stress, Spaß oder beides? „Unsere Erzieherinnen“, wie Elisabeth, Schülerin der zweiten Klasse das Team nennt, „sind nett.“ Kurze Pause: „Sehr, sehr nett!“ Das Ausrufezeichen ist ihr anzuhören. Gefällt ihr das Projekt? „Ja, es macht Spaß.“ Wieder eine Pause: „Es macht ganz, ganz viel Spaß!“ Mehr Lob geht nicht. Jetzt aber ab nach draußen: Denn zum LernRaum gehört auch Spiel und Bewegung. „Finde ich gut, dass wir hier miteinander toben können“, sagt Elisabeth. Das vermisst sie manchmal in den Ferien.
Für Johanna und Lena, die beide Lehramt studieren (einmal Deutsch, einmal Mathe, beide Male Religion) ist der LernRaum auch eine gute Sache: „Wir haben im Studium wenig Gelegenheit so intensiv mit Kindern zu arbeiten.“ Erst recht mit Kindern aus der Grundschule: „Das ist schon was anderes.“ Das fordere auch, weil die Kinder spontan und direkt sind. Manchmal wollen die Mädchen und doch etwas mehr die Jungs einfach testen, wie weit sie gehen können. „Ganz normal“, finden Johanna und Lisa, „gehört dazu, wir waren früher auch nicht anders.“ Johanna ist 22 Jahre alt, Lena ein Jahr älter.
Sollte der „LernRaum“ wiederaufgelegt werden, wären beide nach Möglichkeit wieder dabei: „Wir merken doch, wie gut das den Kindern tut.“ Dazu gehört, dass das Angebot eben nicht in der eigenen Schule, sondern auf anderem Terrain stattfindet, dem der Kirche.: „Das macht es anders und besonders.“
Wachs, Öl und die drei Smileys
Jenny und Lisa, 20 und 23 Jahre alt, gehören zur Elisabeth-von-Rantzau-Schule und wollen Erzieherinnen werden: „Das ist wirklich toll mit den Kindern“, sagen beide. Der Kontakt ist intensiv, die Angebote werden mit Begeisterung angenommen. Das betrifft nicht nur das Üben von Deutsch, Mathe und Sachkunde, von Zaster fälschenden Seniorinnen, Mannschaften auf dem Spielfeld und Rechenspiralen. Die beteiligten Rantzau-Schülerinnen gestalten noch ein zusätzliches spielpädagogisches Angebot – zum Beispiel eine Lava-Lampe. Mit Wachs und Öl, mit großen Augen und mit Wissensdurst: „Die Kinder haben schnell rausgefunden, wie das funktioniert.“
Für ihre Projekte im Projekt werden die Rantzau-Schülerinnen dann von ihren Lehrer*innen bewertet. Später. Denn vorher gibt es ein härteres, direktes Urteil. Nicht nur für die kleinen Projekte, sondern für den so anderen Schultag im Lernraum – von den Kindern. Jeden Tag gibt es bei der Schlussrunde drei Smileys zur Auswahl: Rot mit nach unten hängenden, grün mit nach oben zeigenden Mundwinkeln. Dazwischen gelb, ohne Winkel, nur als Strich. „Wir freuen uns, wenn die Kinder bei der Schlussrunde die lachenden Smileys zeigen“, sagen Jenny und Lisa. Dann hat’s gefallen. Zur Beruhigung: Bisher gibt’s nur grüne …
Noch etwas gefällt den Kindern: Einen Teebeutel nehmen und heißes Wasser in eine Tasse zapfen. So wie’s die Erwachsenen machen. Mit Sorgfalt, zum groß fühlen. So kommt zu Deutsch, Mathe und Sachkunde, zu Lava-Lampen und Toben auch noch jede Menge Tee. Gut gegen Durst und genauso gut für das Vertrauen in sich selbst. Kein Wunder, dass beim Abschiedsgeschenk für die Kinder Teebeutel dabei sind. Mehr Lob geht nicht.
Rüdiger Wala