Zerstörung und Wiederaufbau
Zukunft würdigt Geschichte: Das ist der Leitgedanke des 300-jährigen Jubiläums von St. Clemens. Aber welche Geschichte wird hier geschrieben? Unsere Autorin Martina Stabenow setzt in vier Folgen Akzente dieser Vergangenheit, Teil 4: Zerstörung und Wiederaufbau
Bomben auf St. Clemens: Die St. Clemens-Kirche stand die nächsten 225 Jahre fast unverändert - bis zur Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943. In jener Nacht legten britische Bomber die Stadt in Schutt und Asche. Es waren die schwersten Luftangriffe des Krieges, die Hannover erlebte. Dabei wurde die Clemenskirche bis auf ihre Grundmauern zerstört. Nahezu die gesamte Ausstattung sowie die Orgel fielen der Feuersbrunst zum Opfer. Nur einige wenige Gegenstände waren zu retten. Die Krypta der Kirche aber blieb unversehrt und konnte zunächst als Notkirche genutzt werden
<s> </s><s></s>Alte Ideen werden verwirklicht
Bereits 1946 begannen die Vorbereitungen für den Wiederaufbau der Clemenskirche. Otto Fiederling, Architekt und Hochschullehrer an der Technischen Hochschule Hannover, erarbeitete die entsprechenden Pläne. Dabei orientierte er sich am ursprünglichen Entwurfsmodell des italienischen Architekten Thomaso Giusti. So bekam die Clemenskirche nicht nur ihre charakteristische barocke Architektur zurück, sondern auch die von Giusti einst geplante Kuppel wurde nunmehr gebaut. Mit dieser prachtvollen Kuppel wird bis heute die besondere Bedeutung ihrer Kirche für die Stadt und die Region Hannover unterstrichen. Die Innenausstattung der Kirche erfolgte hingegen nach dem Schlichtheitsideal der 1950er Jahre.
Auf knapp 1,7 Millionen Mark beliefen sich die Kosten für den Wiederaufbau. Das Geld konnte durch freiwillige Spenden und Zuschüsse der Regierung, der Stadt Hannover, der Klosterkammer sowie des Bistums aufgebracht werden.
Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden: Die Aufbauarbeit konnte nur deshalb so zügig vorangehen, weil diese meist unter selbstloser Mitarbeit von Gemeindemitgliedern und deren großer Opferbereitschaft geschah.
Der damalige Apostolische Nuntius Aloysius Muench vollzog am 24. November 1957 die Weihe der wiederaufgebaute Clemenskirche.
Wie Phönix aus der Asche
In den folgenden Jahren kam es noch zu einigen weiteren baulichen Maßnahmen in der Kirche. Eine große Bereicherung sowohl für die musikalische Gestaltung der Gottesdienste als auch für die kirchenmusikalische Arbeit war der Einbau der Orgel. 30 Jahre nach seiner Zerstörung erhielt die Clemenskirche eine Klais-Orgel. Die Klais- Orgelbauwerkstatt konzipierte sie eigens abgestimmt auf die akustischen Gegebenheiten der Kirche. Weihbischof Heinrich Pachowiak weihte das Instrument am 3. Juni 1973 ein. Um eine optimale Klangentfaltung zu gewähren, erhielt sie ihren Patz hinter dem Altar. Im Zuge der Renovierung 1984 bekam die Orgel vergoldete Schleierbretter mit angedeuteten Zimbelsterne und Pinienzapfen, die an die ehemals barocke Ausstattung der Kirche erinnern sollen. Außerdem erfolgte eine Umgestaltung des Haupt- und Nordeingangs der Kirche. Der Künstler Heinrich Gerhard Bücker aus Beckum-Vellern fertigte die die neuen Portale an.
Eine besondere Wertschätzung ließ Papst Johannes Paul II der Clemenskirche im Jahre 1998 zukommen: Er verlieh ihr den Ehrentitel Basilika Minor. Nach St. Godehard in Hildesheim ist sie damit die zweite Kirche in der Diözese, die diese hohe Würdigung erhalten hat. Seit zwei Jahren trägt auch die St.-Cyriakus-Kirche in Duderstadt diesen, jetzt von Papst Franziskus, verliehenen Titel.
Die Krypta von St.Clemens
Im Wandel der Geschichte: Die Krypta wurde zeitgleich mit der Kirche St. Clemens gebaut. Gedacht war sie ursprünglich als Begräbnisstätte für verdiente Gemeindemitglieder. 39 Menschen erhielten dort ihre letzte Ruhestätte. So auch Thomaso Giusti, der Architekt der Kirche. Die letzte Beisetzung fand im Jahre 1774 statt.
Im Laufe der Zeit änderte sich jedoch mehrfach die Nutzung dieses bemerkenswerten Raumes. So mietete zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Weinhandlung die Krypta zeitweise an. ffentliche Beachtung fand sie erst wieder, als sie während des Zweiten Weltkrieges als Luftschutzraum zur Verfügung gestellt wurde. Nach Kriegsende diente die Krypta als Notkirche und damit als Ersatz für die zerstörte Oberkirche.
Doch als am 9. Februar 1946 das kriegszerstörte Hannover von einer der schlimmsten Hochwasserkatastrophen seiner Geschichte überrascht wurde, blieb auch die Krypta nicht verschont: Das Wasser drang ein und füllte den Raum bis zur Zimmerdecke. Es entstanden große Schäden, wobei sogar die Särge den Grabkammern entrissen wurden und aufschwammen.
Nachdem schließlich die Hochwasserschäden beseitigt waren, widmete man sich der Neugestaltung der Krypta. In dem Zuge erhielt sie eine Verbindungstreppe zur Oberkirche. In den kommenden Jahren stand die Krypta vor allem für Gottesdienste an den Werktagen zur Verfügung.
Ein Ort mit Potential
Inzwischen ist die Krypta in die Jahre gekommen und es gibt wieder viel zu tun. Im Oktober 2017 startete deshalb eine erneute Sanierung und Neugestaltung. Besonders der Putz und der Boden litten darunter, dass die Krypta direkt auf dem Sandsteinboden gebaut wurde. So konnte Feuchtigkeit in den Raum eindringen.
Nunmehr sind umfangreiche Arbeiten erforderlich, die sich auf etwa 700.000 Euro belaufen werden. Allein die Sanierung wird 89 Prozent der Kosten beanspruchen. Für die inhaltliche Neugestaltung werden die restlichen 11 Prozent veranschlagt. Den Hauptteil der Kosten übernimmt das Bistum Hildesheim. Nach Abschluss der Arbeiten werden diese Investitionen insbesondere einen guten Zweck erfüllen: Die Krypta soll künftig den Menschen als ein Ort der Trauer und Hoffnung zur Verfügung stehen. Propst Martin Tenge ist davon überzeugt, dass sie sich mit ihrem "unheimlichen Potential, ihrer Stärke und Wucht" hervorragend dafür eignet. Auf den Punkt gebracht fasst der Propst zusammen: "Obwohl man in die Krypta hinunter geht, soll hier die Seele aufsteigen.
Reorganisation der Seelsorge
Nach dem Zweiten Weltkrieg widmete sich die Clemenskirche mit großem Engagement seelsorgerischer Aktivitäten sowie der Wiedererrichtung und dem Ausbau caritativer Einrichtungen. Insbesondere die Hilfe für entwurzelte und heimatlose Menschen war eine wichtige Aufgabe in dieser Zeit. In enger Zusammenarbeit mit dem Caritasverband, der in sichtbarer Nähe zur Clemenskirche seinen Standort hat, sind zahlreiche Aktivitäten auf den Weg gekommen. Dazu gehören u.a. der Tagestreff für Obdachlose, das Obdachlosenfrühstück und die medizinische Ambulanz die Malteser-Migranten-Medizin.
Ein Gefühl von Heimat
Die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen: Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden tausende katholischer Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten im Bistum Hildesheim eine neue Heimat. Dadurch verdreifachte sich in etwa die Anzahl der Katholiken.
Die Ankömmlinge hatten die Schrecken des Krieges erlebt, ihre Heimat verloren und die Strapazen der Flucht und Vertreibung erleiden müssen. Außerdem fassten sie häufig nur unter großen Schwierigkeiten wieder Fuß. Nicht allein deswegen, dass sie ganz von vorne anfangen mussten, häufig erfuhren sie auch Ablehnung von ihren Mitmenschen.
Die Clemenskirche machte es zu einer ihrer Kernaufgaben, die zugewanderten Katholiken ihres Gemeindekreises möglichst schnell zu integrieren. Durch die rasche Reaktivierung des Gemeindelebens konnte sie bald die dafür erforderliche Neuorganisation der Seelsorge in Gang setzen. Damit war die Clemenskirche in der Lage, ihren neuen Gemeindemitgliedern ein Stück der verlorenen Heimat zu ersetzen und ihnen das Gefühl von Geborgenheit zu geben. Außerdem leistete diese Eingliederung einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Integration von Vertriebenen und Flüchtlingen.
Seelsorge für Migranten
Doch schon bald stand die nächste große Aufgabe an: Ab den späten 1950er Jahren erreichte die Bundesrepublik die Vollbeschäftigung und war deshalb auf eine große Zahl zusätzlicher Arbeitskräfte angewiesen. Infolgedessen wanderten damals viele Gastarbeiter vor allem aus Italien, Spanien und Jugoslawien ein. Demzufolge stieg der Anteil der Katholiken erheblich an. Die sprachlichen Schwierigkeiten, unterschiedliche moralische Auffassungen sowie Verschiedenheiten im religiösen Brauchtum erschwerten ihnen oftmals die Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik. Um die Bedingungen für eine erfolgreiche Integration der Gastarbeiter zu erleichtern, reagierte die katholische Kirche mit der Einrichtung von Missionen und dem Einsetzen von Seelsorgern der entsprechenden Nationalität. Gerade die Form der muttersprachlichen Seelsorge ist für Migranten nach wie vor besonders authentisch. In Hannover gründete das Bistum Hildesheim spanische, italienische, kroatische und portugiesische Missionen.
Ein Zeichen für die gelungene Integration von spanischsprachigen Immigranten setzt alljährliche das Sommerfest "Plaza Cultural Iberoamericana". Auch in diesem Jahr feierten gut 2000 Besucher gemeinsam mit 14 Nationen auf dem Platz von der Basilika St. Clemens. Dort ließen sie sich von landestypischen Folkloreaufführungen und kulinarischen Spezialitäten begeistern. Dabei stellte Propst Tenge deutlich heraus, dass das Fest und der dazugehörige Gottesdienst für die Migranten stets ein Stück Heimat seien.